Ohne Vorwurf und Nudelholz

Mit Matt. Ranger und Piotr Nathan schließt die Neue Gesellschaft für Bildende Kunst ihre Reihe über homosexuelle Künstlerpaare ab. Ranger starb vor elf Jahren an Aids, Nathan hat ihm ein Arrangement aus Bettlaken gewidmet

„Kunst in der Plastiktüte“, das klingt wie Würstchen im Schlafrock. Und sieht auch auf den ersten Blick so aus. Die Tüten speckig und abgegriffen, und dort, wo man noch durch die Klarsichtplaste schauen kann, entdeckt man unter anderem fleischige Männer, die kopulieren. Die Arbeit des Kanadiers Matthew Ranger, genannt Matt. Ranger, scheint alles zu erklären und doch alles offen zu lassen. Denn Matt. Ranger lebt nicht mehr, ist gestorben an Aids. Und was er in diesem Werk hinterlässt, sind sich liebende Männer im Zwielicht abgegrabschten Plastiks, als versteckte er wie ein in Amerika auf der Straße herumstreunender Alkoholiker seine Flasche in einer Tüte.

Matt. Ranger war 31 Jahre alt, als er 1987 seine Bilder in Plastikbeuteln verstaute und an die Wand hängte. Knapp ein Jahr zuvor hatte er sich der Malerei zugewandt. Inspiriert durch seinen Partner, den Installationskünstler Piotr Nathan, dem er schon Anfang der 80er nach Hamburg gefolgt war. Zugleich saß ihm die Diagnose HIV positiv als Gewissheit im Nacken. Er und Piotr „teilten ihre Leidenschaft für herrliche Pyjamas, prächtige Morgenmäntel und hübsche Pantoffeln“, weiß Susanne A. Homann zu berichten, Gründungsmitglied der Künstlergruppe „Stille Helden e. V./Neescha“, der auch Piotr eine Weile angehörte. Damals musste Nathan lernen, mit der Immunschwäche umzugehen: Er lebt noch, sein Freund ist seit elf Jahren tot. Zum ersten Mal stellt er jetzt mit ihm aus.

Piotr Nathan und Matt. Ranger sind das dritte und letzte Paar, das die Arbeitsgruppe „Unterbrochene Karrieren“ der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) in ihrer Ausstellungsreihe „Partnerschaften“ vorstellt. Es geht dabei um Partnerschaften, in denen beide künstlerisch tätig waren und in denen jeweils einer der Partner an Aids gestorben ist. Wenn es stimmt, dass jede Krankheit immer auch psychische Ursachen hat, dann fällt auf, dass in allen drei Paarungen jeweils der überlebende Künstler erfolgreich wurde. Piotr Nathan ist seit vielen Jahren auf dem internationalen Galerieparkett zu Hause. Wolfgang Tillmans, der zuvor mit Werken seines verstorbenen Lebenspartners Jochen Klein zu sehen war, ist Turner-Preisträger. Und auch Tom Burr zählt längst zu den Stars der Szene, während Ull Hohn, sein Freund, nur wenigen vorher bekannt war.

Susanne A. Homann schreibt im Katalog über Piotrs und Matt.s Alltag: „Wenn Piotr dann manchmal nach langer Nacht frühmorgens heimkehrte, überraschte er Matthew in der Küche, wo dieser Muffins backte oder Pancakes mit Ahornsirup, ganz Köchin und Hausfrau, bloß ohne Vorwürfe und Nudelholz. Piotr dagegen tobte sich auch gerne mal in der Rolle des tyrannischen Hausdrachen aus, war streitlustig. Matthew widersetzte sich durch stillen Rückzug …“ Vielleicht war die Krankheit sein letzter Rückzug. Die Bilder sprechen dafür.

Einerseits arbeitet sich da einer an so ungefähr allem ab, was man in einem Parforceritt durch mehrere Jahrhunderte Kunstgeschichte zurücklegen kann. Kreuzabnahmen, Grablegungen, Blumenstillleben, surrealistische Kompositionen, Bilder, die aus unzähligen Kreuzstichen gemalt sind – ein Verweis auf weibliches Kunsthandwerk und weiblichen Dilettantismus –, und ein aufgeklappter Eichensarg, ausgelegt mit Satinpolstern und dem Titel „All die Wärme, die Holz geben kann“: Darin steckt viel stille Verzweifelung.

Daneben Piotr Nathans „Schneeflocken“ aus zerschnittenen schwarzen Vinylscheiben, ein monströser Flügel eines Schmetterlings, verkohlt und mit Kohle auf die Wand aufgetragen. „Der verwunschene Garten“, eine Diainstallation aus mikroskopisch großen Trockenblumen in rascher Folge, zu der eine Frauenstimme japanische Kinderschlaflieder singt. Nahezu durch den ganzen schmalen Raum schwingen zusätzlich 37 Bettlaken mit Urinflecken von der Decke. Nach Matt. Rangers Tod blieb allein ein voll gepisstes Bettlaken von ihm zurück, was Piotr Nathan zu dieser Arbeit bewegte – als hätte er sich mit ihm im Leben und Sterben vereint.

PETRA WELZEL

Bis 1. 4., täglich 12–18.30 Uhr, NGBK, Oranienstraße 25, Kreuzberg