Polnische Stadtpläne von Kabul

Kultur in Kabul (Folge 4): Der Buchhändler Schah Mohammad verlegt als einziger Afghane historische Bücher über sein Land. Mit beliebten Postkartenmotiven protestierte er gegen Kommunisten, Mudschaheddin und Taliban

1972 machte der Bauingenieur Mohammad seine erste Buchhandlung auf

„Die Afghanen interessieren sich mehr für das Drucken von Geld als für das von Büchern“, sagt Schah Mohammad. „Ich dagegen habe mich immer für Bücher interessiert.“ Wer heute den 55-Jährigen in seinem kleinen Buchladen in Kabuls Intercontinental Hotel besucht, der einstigen Nobelherberge der Stadt, nimmt ihn zunächst als unscheinbaren Verkäufer wahr und nicht als Afghanistans umtriebigsten Buchhändler und Verleger. Nur die qualifizierte Auswahl an internationalen Büchern über Afghanistan lässt ahnen, dass der Bärtige mit der weißen muslimischen Kappe auf dem Kopf nicht irgendein Verkäufer ist, wie es in dieser Stadt viele gibt.

1972 machte der Bauingenieur Mohammad am Sidaratplatz im Zentrum der Stadt seine erste Buchhandlung auf. Mit seiner Liebe zu Büchern hoffte er mehr Geld zu verdienen als auf dem Bau. Den Laden hat Mohammad noch heute, zum Teil noch mit den längst verstaubten Büchern aus jener Zeit in Dari und Paschto, den beiden afghanischen Hauptsprachen, sowie in Englisch, Französisch und Deutsch („Die Welt der Drogen“). Doch in dem durch den Krieg heruntergekommenen Laden – monatelang drang der Dreck der Straße durch das zerstörte Schaufenster in den geschlossenen Laden – finden sich jetzt auch die neuesten internationalen Bücher über Afghanistan.

Mohammad will den Laden renovieren, die neue Freiheit für die aktuellen Bedürfnissen der Afghanen nutzen und zum Beispiel auch Computerbücher anbieten. Zugleich will er weiter historische Bücher über Afghanistan verlegen und die Erinnerung seiner Landsleute wachhalten. Mohammads ältester Sohn Iraj sagt stolz: „Mein Vater hat ein Buch mit Afghanistans Verfassungen von 1923 bis 1996 herausgegeben, das macht nicht einmal die Regierung.“ Iraj leitet inzwischen den alten Laden am Sidaratplatz. Außer den zwei genannten Geschäften hat Mohammad heute noch kleinere Läden im UNO-Gästehaus und im Deutschen Club. Dass drei seiner vier Geschäfte hauptsächlich ausländische Kunden haben, meist Diplomaten und Journalisten, bedeutete all die Jahre nicht nur einen gewissen Schutz vor Repression, sondern auch ein gutes Geschäft. Denn Mohammad ist nicht nur Buchhändler und Verleger mit Leib und Seele, islamischer Traditionalist, afghanischer Nationalist und ein gebildeter Intellektueller, sondern auch ein findiger und erfolgreicher Geschäftsmann.

Er räumt ein, dass die importierten Bücher in seinen Läden sehr teuer sind. Allerdings dauere es manchmal Monate, bis er Bücherkisten aus Karatschi über Peschawar nach Kabul bekomme. Für eine kleine Kiste kämen da manchmal Kosten von 100 US-Dollar zusammen. Ausländer feilschen dann vergeblich um einen Preisnachlass. Doch wo sonst gibt es schon sowjetische und deutsche Karten von Afghanistan, polnische Kabul-Stadtpläne, pakistanische Analysen über die politische Situation der Region oder britische Erzählungen aus der Kolonialzeit, dazu Bildbände über Afghanistan und das größte Sortiment an Postkarten über dieses Land?

Mohammad hatte immer eine eigene Meinung, wofür er nicht selten büßen musste. „Unter den Kommunisten wurde ich zweimal verhaftet“, sagt er. Dabei hatte er allerdings noch Glück. Denn nach seinen Worten wurden damals 5.000 Intellektuelle getötet, „eine große Zahl für ein so kleines Land“. Während der Machtkämpfe der Mudschaheddin in den Neunzigerjahren wurde dann sein Haus zerstört, sein Laden zweimal geplündert. „Die Mudschaheddin haben nur Erfahrungen mit Korruption und Bereicherung, nicht mit konstruktiver Arbeit.“

Unter den Taliban pendelte Mohammad zwischen dem pakistanischen Exil in Peschawar und der Heimat hin und her – oder anders gesagt zwischen seinen beiden Frauen. „Die Taliban waren einfach ignorant“, sagt der Vater von drei Söhnen und zwei Töchtern. Dabei zeigt er ein Buch, dessen Deckel von der Religionspolizei der Taliban herausgerissen wurde, weil darauf eine menschliche Abbildung war. Bei einem anderen Buch ist diese herausgekratzt. Irgendwann hatte Mohammad die Idee, problematische Abbildungen mit seinen Visitenkarten zu überkleben. Das schonte die Bücher, war Werbung und subtiler Protest zugleich.

Mohammad besitzt mit 9.000 Bänden eine der größten privaten Bibliotheken über Afghanistan. Er konnte sie über all die Jahre retten und weiter ausbauen. „Ich habe die Bücher an verschiedenen Orten gelagert, um das Risiko des Verlusts zu streuen. Doch während ich meine eigenen Bücher retten konnte, habe ich etwa 10.000 aus den Beständen meiner Läden verloren.“

Zu Mohammads Kunden zählen Afghanen in aller Welt. Besonders beliebt sind die von ihm vertriebenen Postkarten mit Motiven aus der Heimat. Unter den Taliban hat Mohammad 500 verschiedene Motive internationaler Fotografen aufgelegt und etwa eine Million Karten verkauft, manche auch als Poster. Die zeigen nicht nur schöne Berge und historische Landesführer, sondern auch politische Botschaften. So zeigt eine Karte eine Frau mit einer Burka, die einen Käfig mit zwei Vögeln auf dem Kopf trägt. Eine andere zeigt fröhliche Mädchen beim unter den Taliban verbotenen Lernen in einer Untergrundschule.

Mohammad setzte auch auf die Gegenüberstellung von Fotos. So kontrastierte er eine afghanische Frauenmannschaft in Miniröcken bei einen Sportfest in den Siebzigerjahren mit in Burkas gekleideten Afghaninnen heute; oder er zeigte eine Kabuler Straße in den Achtzigerjahren, durch die gerade eine Militärparade der Kommunisten rollt, neben derselben Straße in den Neunzigerjahren, in der Überlebende eine Ruinenlandschaft passieren. „Die Taliban wurden sehr böse mit mir, haben viele Karten verboten und mir drastisch die Steuern erhöht“, sagt Mohammad. Die Karten vertrieb er dann von Pakistan aus weiter.

Für die Zukunft träumt er von einem Kulturzentrum. Da könnte seine private Buchsammlung öffentlich genutzt werden. „Ich habe die neue Regierung gebeten, mir das alte Park-Cinema zu überlassen. Im Erdgeschoss mache ich einen Buchladen, im ersten Stock eine Bibliothek, im zweiten ein Kino, im dritten einen Club. So ein Ort fehlt hier in der Stadt.“ Die Antwort steht freilich noch aus. SVEN HANSEN