BUNDESKANZLER SCHRÖDER BUHLT UM STIMMEN AUS DEM OSTEN
: Vergebliche Liebesmüh

Gerhard Schröder und Gregor Gysi haben seit gestern etwas gemeinsam. Der Bundeskanzler forderte nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zu Kohls Stasi-Akten: Nun müsse man „vorurteilsfrei“ hinterfragen, ob der Umgang mit der Stasi-Vergangenheit heute noch so in Ordnung gehe. Mehr noch: Die Ostdeutschen hätten lange genug ertragen, dass ihre Biografien immer nach einer Stasi-Tätigkeit hinterfragt wurden. Es sei Zeit für ein „grundsätzliches Umdenken“.

Das hätte Gregor Gysi nicht besser formulieren können. Nun sind in wenigen Wochen Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt, und im September ist Bundestagswahl. Der Kanzler hat offenbar erkannt, dass der wichtigste Gegner im Osten nicht CDU heißt, sondern PDS. Also versucht er, mit deren Position Wähler zu werben, er setzt dem Populismus der PDS sogar noch eins drauf. Aber das wird nicht klappen.

Denn die PDS ist nicht in erster Linie wegen ihrer Forderung nach einem Schlussstrich unter die Stasi-Aufarbeitung erfolgreich. Vielmehr sammelt die Partei Stimmen, weil sie den Ostdeutschen mehr Sozialleistungen verspricht, eine spezielle Ostförderung anmahnt und die Skepsis der Ostdeutschen gegenüber dem Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr teilt. Doch in diesen Bereichen hat Gerhard Schröder bei vielen Ostdeutschen längst verspielt. Die Wählerinnen und Wähler der PDS wird er mit seiner neuen Forderung nicht gewinnen. Viele andere dagegen verlieren. Enttäuscht werden sich alle jene von der SPD abwenden, die 1989 auf die Straße gingen. Schröder verprellt ganz besonders diejenigen, die den Ostflügel der Partei mitgegründet haben: Markus Meckel, Martin Gutzeit und Wolfgang Thierse.

Wer wie Schröder ein Ende der bisherigen Aufarbeitungspraxis fordert, verkennt, dass noch nie in der deutschen Geschichte eine Diktatur so gründlich und so sachlich erforscht werden konnte wie in den vergangenen Jahren. Schröder irrt, wenn er glaubt, die Ostdeutschen hätten die „Personalfragebogen-Politik“ satt. Zum einen hat es Fragebögen nur im öffentlichen Dienst gegeben. Zum anderen entlarvte diese Politik nur eine kleine Minderheit als Täter.

Die Aussage des Bundeskanzlers taugt daher bestenfalls, um sich bei Gregor Gysi und Gabi Zimmer anzubiedern, die Stasi-Mitarbeiter in den Führungsgremien ihrer Partei bis heute dulden. Vielleicht hofft Schröder ja auch, dass bei so viel Gleichsinn in Sachen Geschichtsaufarbeitung nach der Bundestagswahl doch noch eine rot-rote Koalition zu Stande kommt. Gregor Gysi kann dann Bildungsminister werden. Wahlkampf kann ja so schön sein. RALF GEISSLER