Die Scherben einer Weltkultur

Kultur in Kabul (Folge 5 und Schluss): Akkreditierungen, Minen, Marmorschutt – bei einem Besuch des berühmten afghanischen Nationalmuseums muss man sich auf einiges gefasst machen. Von einst 100.000 Exponaten besitzt das Haus heute noch 30.000. Um diese zu erhalten, hofft man jetzt auf Hilfe

von SVEN HANSEN

Einst! Einst war es berühmt. Im Moment allerdings steht der Aufwand zum Besuch des afghanischen Nationalmuseums, auch Kabul-Museum genannt, im krassen Gegensatz zu dem, was es dort zurzeit Sehenswertes gibt. Wer das Museum – oder besser gesagt seine Reste – im zerstörten Vorort Darulaman am südwestlichen Stadtrand besuchen will, wird zunächst zurück ins Stadtzentrum zum Ministerium für Kultur und Information geschickt. Dort muss eine Genehmigung zum Besuch des Museums beantragt werden. In der Abteilung für internationale Angelegenheiten sitzen acht Beamte beim Tee um ein kleines Heizgerät herum, verlangen nach der Akkeditierung des Außenministeriums und einem Schrieb des Sicherheitsbüros. Viel Aufwand für ein Museum, das seit zehn Jahren geschlossen ist.

Ein Protest beim Staatssekretär – der Minister weilt gerade im Ausland – lässt die Beamten schließlich aktiv werden. Aber auch dann ist man noch nicht am Ziel: Mit der Genehmigung stehen dem Besucher die Museumspforten trotzdem nur mit Glück offen. Denn das Musumsgelände darf man nur betreten, wenn der „Supervisor“ Omar Khan Masudi (den Titel Direktor lehnt er für sich ab) anwesend ist und nicht gerade wieder den Schlüssel mitgenommen hat. Als es im vierten Anlauf dann endlich klappt, stellt man fest, dass einen der Besuch des zerstörten Museums ziemlich mitnimmt.

An der Tür des massiven Altbaus klärt ein Schild über die Gefahren von Minen auf. Beim Aufgang zur ersten Treppe sind die spärlichen Reste von präislamischen Statuen aus dem zweiten Jahrhundert nach Christus zu sehen. „Die wurden von den Taliban im November 2000 mit Äxten und Hämmern zerstört“, erklärt der Museumsmitarbeiter und Kurator Jahia Mohibzada. Dem 39-Jährigen ist das Leid im Gesicht geschrieben, als er wenige Meter weiter auf Tonreste zeigt und dabei auf Riffelungen hinweist. „Dies waren die Beine von drei Vögeln, die diese Tonfigur vor ihrer Zerstörung darstellte.“ Die Taliban hatten in ihrer extremen Koranauslegung alle Darstellungen von Lebewesen verboten. Im Museum sowie im Keller des Ministeriums und des Kabul-Hotels, wohin Exponate ausgelagert worden waren, zerstörten sie 2.000 historische Stücke. „Das war sehr schmerzhaft für jeden Afghanen, der Kultur liebt“, sagt Mohibzada. Er habe dem Frevel der Taliban nur weinend zusehen können.

Umso mehr, als der Großteil der kulturhistorisch wertvollen Exponate bereits in den Jahren 1992 bis 1996 zerstört wurde, als die Mudschaheddin um Kabul um die Macht kämpften. Zum Museum gehörte einst – einst! – eine 35.000 Stücke umfassende Sammlung historischer Münzen, Gemälde, Waffen und Keramik aus bis zu prähistorischen Zeiten. Goldene Kunstschätze gab es auch. Dem Museum wurde jedoch die unmittelbare Nachbarschaft zum Darulaman-Palast zum Verhängnis. In dem von König Amanullha erbauten Prunkbau war einst das Parlament untergebracht, später das Verteidigungsministerium. Bei dessen Raketenbeschuss durch die Gotteskrieger zerstörten diese dann auch das obere Stockwerk des Museums. Was dabei nicht zerstört wurde, fiel den Raubzügen der Mudschaheddin zum Opfer und wurde in alle Welt verkauft.

„Von einst 100.000 Exponaten haben wir heute noch 30.000 Stück. Die sind aber zum Teil beschädigt und bedürfen dringender Pflege“, sagt Museumschef Masudi. Viele Exponate seien unwiederbringlich verloren, andere dürften nur mit größtem Aufwand wiederherzustellen sein. So zeigt Mohibzada im Keller auf zwei in offenen Kisten gelagerte Haufen aus Marmorschutt: Einst waren sie wertvolle Statuen. Immerhin versucht man ihre Überreste jetzt zu schützen; in dem halb zerstörten Museum sind die Festerhöhlen zugemauert, die verbliebenen Exponate hinter Stahltüren gesichert.

Bei aller Zerstörung ist Museumschef Masudi dennoch optimistisch. „Mit 300.000 US-Dollar können wir das Gebäude in einem Jahr wieder instand setzen“, meint er. Das Gebäude soll dann hauptsächlich als Werkstatt zur Reparatur der Exponate dienen. Denn Masudi hat Pläne für ein neues Museum im Stadtzentrum. Dort sei man nicht nur vor Raketenbeschuss sicherer, das neue Museum sei dann auch zudem für die Bevölkerung besser zu erreichen als draußen am Stadtrand. König Amanullah hatte extra eine kleine Eisenbahn bauen lassen, die nach Darulaman hinausfuhr.

Masudis Team von sechzig Leuten benötigt auch dringend Chemikalien und Spezialgeräte, um die Exponate restaurieren zu können. „Über das Wissen verfügen wir hier“, sagt er nicht ohne Stolz. Vertreter der Unesco seien bereits da gewesen. „Hier geht es nicht nur um das kulturelle Erbe Afghanistans, sondern um das der Welt“, meint Kurator Mohabzada beim Abschied. Sein letzter Satz klingt nicht so stolz: „Wir brauchen Hilfe.“