Ohne Pomp und Pipapo

Eine Geschäftsstelle wie Schweinfurt 05: Deportivo La Coruña verwaltet die jüngsten Fußballerfolge in der Champions League und spanischen Liga unprätentiös. Und mit deutscher Genauigkeit

aus La Coruña RONALD RENG

Auf Spanisch nennt sich der Posten Secretario Técnico. Ins Deutsche übersetzt, vermutet Ricardo Moar, heißt das: „Ich mache alles.“ Er erledigt beim spanischen Spitzenklub Deportivo de La Coruña ähnliche Arbeit wie Sportdirektor Klaus Allofs bei Werder Bremen, das heißt, er verpflichtet und verkauft Fußballprofis, aber weder Manager noch Sportdirektor beschreibt seinen Job ausreichend. Gerade erstattete Moar, 48, seinem Trainer Javier Irureta Bericht über Bayer Leverkusen, das am heutigen Mittwoch der Gegner zum Abschluss der Champions-League-Zwischenrunde ist. Der Secretario Técnico hatte Leverkusen beim Bundesligaspiel in Stuttgart beobachtet. Und in Coruña musste Moar Bayer in Empfang nehmen, „sie ins Hotel bringen, dolmetschen, einen tollen Abend wünschen – ich kann mir nicht vorstellen, dass bei Bayern Uli Hoeneß das machen muss.“

In der Administration ist Deportivo noch immer, was es die meiste Zeit seiner Vereinsgeschichte war: ein kleiner Profiverein. Die zehn Angestellten auf der Geschäftsstelle teilen sich zwei unscheinbar in der Innenstadt gelegene Büroräume. „Hübsche Frauen gibt es bei uns nicht“, grummelt Moar, aber das war nicht als Beleidigung gegen Deportivos Sekretärin gemeint, sondern bildhaft: Den Luxus anderer Großvereine leistet sich der Klub aus der kleinen Hafenstadt im äußersten Nordwesten Spaniens nicht, ganz bewusst nicht. Während andernorts jeder Fußballklub, der was auf sich hält, zum Unternehmen mutiert, mit Marketingstrategen, Mediendirektoren, Vorzimmerdamen, eigenem Reisebüro und Pipapo, steckt Deportivo all seine Ressourcen in die Fußballelf. Mit dem Ergebnis, dass eine Kleinstadt und ein Klub mit einer Geschäftsstelle wie Schweinfurt 05 eine der weltbesten Mannschaften beherbergen.

Anfang März versaute Deportivo Real Madrid den 100-jährigen Geburtstag, als es die Siegessicheren aus der Hauptstadt im spanischen Pokalfinale bezwang. Und spätestens seit die Elf von Trainer Irureta vergangene Woche beim 2:0-Sieg in der Champions League Arsenal London nach allen Regeln der Kunst vorführte, muss man sich ernsthaft mit dem Gedanken befassen, dass dieser Klub, der erst einmal (2000) spanischer Meister war, den Europapokal gewinnen kann. „Wir sind der Stein im Schuh von Real Madrid oder Manchester United“, sagt Irureta. Ihre taktische Formation mit vier offensiven Mittelfeldspielern hinter einem Stürmer ist so ungewöhnlich wie durchschlagend. Valeron im Zentrum, Sanchez rechtsaußen sowie Stürmer Tristan sind die herausragenden Protagonisten; wie gut für Leverkusen, das vermutlich keiner von ihnen heute Abend spielt. Während Bayer einen Sieg sucht, um ins Viertelfinale aufzurücken, ist Deportivo bereits qualifiziert.

Kein anderer Trainer wechselt sein Team so rigoros durch, nur einmal ließ der Baske diese Saison in zwei Spielen hintereinander dieselbe Elf auflaufen. Nun scheint er die Dividende zu kassieren. Deportivos Profis wirken ausgeruhter als etwa die dauerbelasteten von Real Madrid. Trotzdem hält Manager Moar, ganz persönlich betrachtet, Iruretas Spielerrotation für „keine gute Idee: Die Spieler, die sich ausheulen wollen, weil sie nicht spielen, werden immer zu mir geschickt.“ Hinter dem saloppen Spruch steckt ein ernsthaftes Problem: Der Teamgeist ist ein brüchiges Gut bei Deportivo. „Wenn ich all die Barbareien erzählen würde, die hier passieren“, sagt Irureta und erzählt sie natürlich nicht.

Und weil wir schon bei den ärgerlichen Dingen sind, muss Ricardo Moar loswerden, was ihn richtig fuchst: Teutonia Lippstadt. „Da kennt mich keiner mehr!“ Dort, tief im Westfälischen, lernte Moar das Fußballspielen und sein gutes Deutsch. Ehe er 1971 mit 18 Profi wurde beim damaligen Zweitligisten Deportivo, lebte er elf Jahre lang in Deutschland – wie kann es sein, dass ihn vergangenes Jahr der Kassierer nicht kannte. „Ich bin immer noch verliebt in Deutschland“, sagt Moar dennoch. Sportdirektor bei einem Bundesligisten zu sein, wäre sein Traum. Und wenn es ein Traum bleibt – auch nicht schlimm. Die beste Zeit bei Deportivo steht ihm womöglich erst bevor. Trainer Irureta hat bereits angekündigt, wie er den Gewinn der Champions League oder der Meisterschaft feiern würde: Mit einem acht Kilometer langen Fußmarsch zum heiligen Stein von Pastoriza. Ricardo Moar hat andere Pläne. „Ich bin mehr Deutscher: Ich werde auf die Geschäftsstelle gehen und die Prämie kassieren.“