Schmackhafte Bohnen…

… serviert „Autopsie“ nicht. Sie sind schon gegessen und lagern im Magen eines Toten. Dennoch gibt es Leute, die sich die Kriminalistik-Reihe gern anschauen (Sa., 22.25 Uhr, und So., 22.00 Uhr, RTL 2)

von OLIVER PFOHLMANN

Leichen faszinieren. So sehr, dass sie inzwischen ihre eigene TV-Reihe haben: „Autopsie – Mysteriöse Todesfälle“. Seit Monaten läuft sie erfolgreich auf RTL 2. Getarnt als Doku-Reihe über die Arbeit von Kriminologen und Gerichtsmedizinern, werden darin Leichen aller Art präsentiert, in jedem nur denkbaren Stadium der Verwesung und Auflösung.

Von der aufgeschwemmten Wasserleiche bis zum verkohlten, kaum noch als Mensch identifizierbaren Rumpf, wie er von den Einsatzkräften gerade sorgfältig vom Containerboden gekratzt wird. Spektakuläre Fälle werden mit Hilfe von Polizeivideos, Gerichtsfotos und Interviews wieder aufgerollt. Eine Mischung aus wissenschaftlicher Neugier, aus Faszination und kaum verhohlener Lüsternheit bestimmt die Darstellung, wozu die Gänsehautstimme Franziska Pigullas, der deutschen Synchronsprecherin von Akte X-Agentin Dana Scully, im Off maßgeblich beiträgt.

Pathologen-Stars

Nach Notärzten und Feuerwehrmännern erfährt nun, Jahre nach „Quincy“, der Rechtsmediziner wieder die ihm gebührende Aufmerksamkeit. Keine noch so raffinierte Mordmethode, die er nicht entdeckt. Stolz berichten Stars der amerikanischen wie deutschen Pathologieszene, wie sich anhand von Oberschenkelknochen das Geschlecht bestimmen lässt. Wer aber goutiert den vergammelten Mageninhalt eines Exhumierten in Großaufnahme (seine letzte Mahlzeit bestand aus Bohnen)? Oder den Anblick eines toten Dreijährigen mit verschwollenem Gesichtchen und Blutergüssen?

Der Erfolg der Serie stellt ein faszinierendes Skandalon dar. Zunächst ein moralisches. Wer möchte schon, ob ermordet oder nicht, im mehr oder weniger desintegrierten Zustand im Fernsehen landen? Haben Tote keine Würde? Und was sind das für Angehörige, die eine derartige Zurschaustellung geliebter Menschen noch mit Interviews und Videoaufnahmen vom Ermordeten unterstützen? Die Welt, wie die Serie sie präsentiert, gleicht zunächst der von Bösewichten aller Art bevölkerten Welt der „Aktenzeichen XY“- und „Derrick“- Fans. Wenn Gut und Böse jemals klar geschieden waren, dann hier, wo es nur drei Arten von Menschen gibt: Opfer, Täter und die Vertreter von Recht und Gesetz. Eine Motivforschung, die etwas anderes ergäbe als materielle oder sexuelle Beweggründe für einen Mord, gibt es auch in „Autopsie“ nicht. Und nie kommt es vor, dass einmal der Falsche ins Kittchen wanderte.

Trotz der ständig wiederholten Siege der Gerechtigkeit sollte das Verstörungspotenzial der Serie nicht unterschätzt werden. Eine derart aggressive und öffentlich-serielle Präsentation von Tod, Sterblichkeit und Verwesung dürfte es noch nicht gegeben haben. Ein Memento mori der Trashkultur. Kaum vorstellbar, dass sich der Durchschnittsfernsehkonsument freiwillig ansieht, wie auch er eines Tages aussehen wird. Die fortwährende Konfrontation mit den realen Endstufen menschlicher Existenz verschafft dem so gern verdrängten Lebensende eine schwer erträgliche Präsenz. Gepaart mit all den geldgierigen Ehefrauen, die ihren Gatten jahrelang Rattengift ins Essen mischen, den Rabenmüttern, die nach und nach ihre Kinder umbringen, und all den Serial Killers, kann dies einem auch noch den letzten Rest des Urvertrauens in die Welt austreiben.

Verdrängter Tod

Kehrt hier der in zivilisierten Gesellschaften verdrängte Tod via TV wieder? Die spezielle Affinität bestimmter Altersgruppen für das Horrorgenre ist bekannt. In der Zielgruppe der 14- bis 29-Jährigen erreicht die Serie einen Marktanteil von über 13 Prozent. Inzwischen ist ein Buch zur Serie erschienen, RTL 2 hat das amerikanische Konzept adaptiert und präsentiert, wenn auch vorerst etwas weniger explizit, Mordfälle aus deutschen Landen.

Die Serie stellt eine raffinierte Mixtur zur Befriedigung ganz unterschiedlicher Bedürfnisse dar, ein sich hinter dem dokumentarischen Deckmäntelchen verbergendes Spiel mit unterschiedlichen, ja gegensätzlichen Affekten und Lustquellen, das wohl nicht zufällig gerade Jugendliche fasziniert.

Dazu gehört gewiss eine Form erhabener Lust, sich von dem dargestellten Grauen nicht überwältigen zu lassen. Mit virtuellen Mutproben versichert man sich der eigenen Überlegenheit. Lust bereitet auch jene Erfahrung, dass sich der Schrecken dort, man selbst sich aber hier, in Sicherheit und damit: am Leben befindet. Hinzu kommt die Spannungsdramaturgie, mit der die Fälle präsentiert werden. Das zum Miträtseln einladende „Who dunnit?“ des Krimis verbindet sich mit der detektivischen Lust am Puzzlespiel aus Indizien und unscheinbaren Details.

Nicht zu vergessen die „moralische Lust“: das Gefühl von Befriedigung, wenn der Täter überführt und verurteilt, die sittliche Ordnung wiederhergestellt ist. Doch dürften noch ganz andere Regungen im Spiel sein. Wahrscheinlich wird mit „Autopsie“ auch ein sadistisch grundierter Voyeurismus bedient. Eine vielleicht gar nicht so seltene Schaulust beim Anblick der Resultate gewalttätiger Exzesse, die uns, all unserem Entsetzen zum Trotz, nicht mit den Opfern, sondern mit den Tätern verbindet. Dies alles zusammengenommen, mag dann auch den Anblick halb verdauter Bohnen im Magen einer Leiche schmackhaft machen.