strafplanet erde: flüchten im frühling von DIETRICH ZUR NEDDEN
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Das Frühlingserwachen setzt sich dann ja doch gegen die Frühjahrsmüdigkeit durch, denkt man, verlässt den elfenbeinernen Elefantenturm, nomadisiert ein bisschen durch den Ort, in dem man wohnhaft ist, und schaut unweigerlich auf das, was da blüht. Verdammt, jedes Jahr das Gleiche, jetzt weißt du’s wieder nicht, sind das nun Narzissen oder Osterglocken, die da ihre gelben Köpfe hängen lassen? Beides, korrigiert später die Gärtnerin des Hauses, bevor man noch „Oder Hyazinthen?“ sagen kann. Man steht blöd da und verdient es nicht anders. Es mangelt an Distinktionsvermögen, aber würde das besser, wenn man ausführlicher und vor allem häufiger in der Welt herumsegelte?

Die Deutschen insgesamt sind ja global verstärkt unterwegs seit einiger Zeit, in Uniform und ohne sowieso, aber bevor ich auf das Thema näher eingehe, füge ich ein Insert ein, das ursprünglich an den Anfang von „Butch Cassidy and The Sundance Kid“ gestellt war: „Nicht dass es von Bedeutung wäre, aber das meiste des folgenden Films hat sich tatsächlich so zugetragen.“ Was dem Freund eines Freundes interfamiliär passiert ist, hat sich komplett so zugetragen: Sein Vater, Berufssoldat der Bundeswehr, arbeitete nach Scheidung und Pensionierung gelegentlich als Ingenieur in Pakistan. Lernte dort eine junge Frau aus vornehmer Familie kennen, lernte sie lieben und hielt um ihre Hand an. Die Eltern hatten eigentlich nichts gegen die Heirat einzuwenden. Allein die Religion des Galans war ein Hindernis. Der Exsoldat, der unsere freiheitliche Grundordnung zu verteidigen trainiert war, demnach bestimmt Artikel 4, Absatz 1 GG kennt, wagte entschlossen und souverän den Schritt gen Mekka und konvertierte. Jetzt fehlte noch – na, wie heißt das – die Ablösesumme? Jedenfalls musste der Bräutigam zwei Kamele und eine Ziegenherde kaufen. Dann war der Weg frei.

Neulich besuchte ihn sein Sohn zu Hause irgendwo in Ostwestfalen und der Vater, obwohl einst als Christ niemals beim Gottesdienst präsent, hielt die fünf Betzeiten des Tages folgsam ein. Der Sohn wandte sich ab mit Grausen, erzählte er, so dass ich ihn auf Artikel 4, Absatz 2 GG hinweisen musste: „Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet“ – und auf die Kraft der Liebe, die … „Hör bloß auf“, sagte er, und ich wandte mich einem ganz anderen Einsatzgebiet zu.

Vom Balkan erreichte mich vor ein paar Wochen die Botschaft eines alten Freundes, eines Deutschen, der in dem Land formerly known as Jugoslawien als Lektor arbeitet. Seit seiner Einreise im Jahr 1997 hatte die Zollbehörde mit der Einfuhr seiner Bücher, Strümpfe, Zahnstocher und sonstigen Hausrats gehadert: „Heute habe ich per Einschreiben die Nachricht bekommen, dass ich von allen Zollgebühren befreit bin, dies auf Grund meines ‚Flüchtlingsstatus‘. Die Zollfreistellung bezieht sich auf alle Hausgegenstände und einen Traktor.“

Angesichts so guter Weltnachrichten muss man die hauseigene Happy-Ending-Maschine doch gar nicht erst anwerfen. Oder erst, wenn der gar nicht existierende Traktor wieder ausgeführt wird.