Sensation Intimität

Fließende Übergänge zwischen Dokumentation, Observation, Voyeurismus und Denunziation: Die Videoausstellung „Private Affairs“, die Angelika Richter im Kunst Haus Dresden eingerichtet hat

Aus dem Einzelschicksal formt sich die Erinnerung an ein weltpolitisches Geschehen

von SUSANNE ALTMANN

Das Private hat sich ganz knapp unter der Haut verschanzt. Von dieser letzten Bastion sendet es unheimliche, pulsierende Signale an eine Außenwelt, in der das Intime selbstverständlicher Gegenstand von Unterhaltung, aber auch Überwachung geworden ist. In ihrem kurzen Film „When are we there“ inszeniert sich Maria Marshall als reglose Heldin in einem verlassenen Umfeld. Hautnah im Wortsinn sucht die Kamera den Körper ab und findet jene unerklärlichen Zuckungen, die von den Füßen bis hin zur Stirn auf obskure physische und psychische Vorgänge verweisen. Erklärungen für diese beunruhigenden Morphings werden nicht gegeben. Es handelt sich ganz deutlich um „private affairs“ der Protagonistin, und mit diesem Statement beginnt auch die gleichnamige Videoausstellung, die Angelika Richter für das Kunst Haus Dresden zusammengestellt hat.

Im Radius von Surveillancekameras und Live-Soaps ist das Private zunehmend zur Floskel und zum Garant für kurzlebige Spektakel geworden. Und wenn sich die Ausstellung betont von „sensationellen Ereignissen oder glamourösen Skandalen“ abgekehrt gibt, so bleibt auch sie Komplizin der allgegenwärtigen Symptomatik von Entblößungen jeglicher Art. Lediglich Maria Marshalls Arbeit thematisiert eine kritische Verweigerung von Auskunft; eigentlich eher untypisch für die Arbeit der Britin, die bislang familiäre Problemzonen untersuchte, zusammen mit ihren beiden jungen Söhnen als Darstellern.

Dieses Feld der „family affairs“ bestellen im Rahmen von „Private Affairs“ nun andere KünstlerInnen. Und als einer der üblichen Verdächtigen darf Richard Billingham da nicht fehlen. Die dokumentarische Begegnung mit seiner Familie erfüllt denn auch alle Erwartungen, die seit „Sensation!“ an Billinghams privat-öffentliche Ikonografie gestellt werden dürfen. Mit dem Wiedererkennungswert von alten Bekannten taucht in dem 40-minütigen Streifen „Fishtank“ die desolate Familie des Engländers auf und geht ihren sowohl trostlosen als auch komischen Verrichtungen nach. Der provokative Zauber der Fotoarbeiten, mit denen Billingham einst die Kunstwelt konfrontierte, scheint freilich abgenutzt. Zwar zeigt auch „Fishtank“ in programmatischer Kunstlosigkeit Daddy B. halb delirierend neben dem Klobecken, die schwergewichtige Mum und den drogenabhängigen Bruder. Doch anders als die Fotografien legen die erbarmungslosen Großaufnahmen mitsamt Originalton dann doch den Gedanken an Denunziation nahe. Andererseits mag es mittlerweile gerade die Dokumentation ihres Lebens sein, die die Billinghams am Existieren hält.

Zum unmittelbaren Vergleich verführt da Laura Bruces komplexe Videoinstallation „Slow the Gallop“. Auch die Amerikanerin untersucht und exponiert ihr eigenes familiäres Milieu. Allerdings hat Bruce im Gegensatz zu Billingham eine wohl situierte, bürgerliche Herkunft zu bieten. So wird bei ihr die Vorstadtküche oder die spießige Hausbar zur Bühne; spielen Vater, Mutter und Tante Dot dort ihre Parts. Essen, Trinken, Rauchen sind strukturgebende Rituale des sozialen Zusammenhalts und dienen zugleich als Folie für existenziellere Einsichten. Vom Band nämlich ertönt die Stimme der längst verstorbenen Großmutter und plötzlich singt Bruces Vater mit jener Stimme aus dem Jenseits im Duett. Vom oberflächlichen Geplänkel schlägt die Stimmung unversehens in eine beklemmende Metapher von der rasch dahingaloppierenden Lebenszeit um. „Slow the Gallop“ hält dieses Rasen mit filmischen Miniaturen kurz an und bezieht mit fünf simultanen, raumgreifenden Projektionen die Besucher in die Intimität dieser „family affairs“ ein.

Eine Familienangelegenheit mit gleichsam historischen Dimensionen visualisiert Angela Melitopoulos mit ihrer Montage „Passing Drama“. Diese experimentelle Dokumentation zeichnet die Biografie von Melitopoulos’ Vater nach, der vor 80 Jahren als griechischer Flüchtling nach Österreich kam. Aus dem Einzelschicksal formt sich die Erinnerung an ein weltpolitisches Geschehen, an die so genannte Kleinasienkrise von 1922. Die Griechin trägt ihr Anliegen mosaikartig, häufig in Schwarzweiß und dabei nur mit sparsamsten Zugeständnissen an ein Narrativ und an Sehgewohnheiten vor. In ähnlich collagierendem Prinzip, mit Überblendungen und ätherischen Farbspielen, legt Matthias Müller seine Elegie „Pensão Globo“ an. Diese kurze Filmerzählung begleitet einen aidsinfizierten Mann auf seiner vielleicht letzten Reise nach Lissabon. Müller schreckt weder vor viel strapazierten Symbolen wie Blut- und Rotweintropfen noch vor klassischen Tadzio-Zitaten zurück. Doch nur so gelingt es, den „Tod in Lissabon“, also die Perspektive des leidenden Individuums überzeugend zu kommunizieren. Entscheidend für Müllers wie auch für Melitopoulos’ Beiträge ist der ernsthaft vorgetragene Wille zur Transzendenz des Privaten, zur Öffnung hin zur Metaebene der „Public Affairs“.

Um derlei Universalien scheint sich Wang Jianwei nicht im Geringsten zu scheren. Er lebte für ein Jahr mit chinesischen Bauernfamilien unter höchst ärmlichen Bedingungen und verließ damit die sichere Position des kurzzeitigen Beobachters, um die Situation seiner Protagonisten zur eigenen Privatangelegenheit zu machen. Detailgenau, mit Witz und Unbehagen schildert „Living Elsewhere“ nun den Überlebenskampf am Rande der Großstadt Chengdu.

Eine derart interne Perspektive bietet auch Katarzyna Kozyras Filminstallation „Bath House“ an. Mit versteckten Kameras beobachtete die Polin Frauen aller Altersgruppen in einem öffentlichen Badehaus in Budapest. Von kunsthistorischen Referenzen zu Ingres, Degas & Co. einmal abgesehen, provoziert „Bath House“ mit Bildern des ungeschönten Frauenkörpers. Der welkende Leib ist eine sorglich gehütete Privatsache.

Genau dafür sensibilisiert Kozyras Reigen der Lebensalter, gewiss. Gleichzeitig aber exponiert die Künstlerin erbarmungslos ebendiese Privatsache und stellt ihre künstlerische Freiheit über das Schamgefühl ihrer – immerhin – anonymen Akteurinnen. Hier ist die eigene Haut und die Verfügung darüber das Allerintimste, und hier erweist sich die Ambivalenz der Ausstellung „Private Affairs“: Denn die fließenden Übergänge zwischen Dokumentation, Observation, Voyeurismus, Denunziation scheinen nur Stilmittel.

Bis 14. 4. im Kunst Haus Dresden, www.kunst-haus-dresden.de