Zipfel der Dummheit

Spießer oder Hipster? Die Galerie im Körnerpark würdigt den Gartenzwerg: Mit einer Ausstellung zum 130. Geburtstag des deutschen Volkshelden

von SILKE LODE

Helmut Kohl würde sicher entsetzt flüchten, wenn er sich Seite an Seite mit seinem Nachfolger Schröder zwischen einem KFZ-Mechaniker, einem Soldaten und einer Domina mitten in einem deutschen Vorgarten wiederfinden würde. Wenn er sich denn bewegen könnte. Doch der Hartplastikkörper gibt ihm keinerlei Bewegungsfreiheit und befreit ihn von jeglichem Gedanken über die missliche Situation, in die er geraten ist. Er hat sich nicht einmal selber in diese Lage manövriert.

Ermöglich hat dieses Szenario die Gartenzwergindustrie, die in den letzten zehn Jahren ihr Sortiment gewaltig erweitert hat. Die Herkunft der Gartenzwerge ist umstritten, sicher nachweisbar scheint nur zu sein, dass eine Firma im thüringischen Gräfenroda 1872 mit der Produktion von Zwergenfiguren aus Keramik begann. Der Gartenzwerg ist also nur ein Jahr jünger als das Deutsche Kaiserreich und feiert in diesem Jahr seinen 130. Geburtstag. Andrea Szatmary und Claudia Rücker haben zu diesem Anlass eine Wanderausstellung zusammengestellt, die in der Galerie im Körnerpark zu sehen ist. Zwischen Fotos aus der Zwergenperspektive, Interviews mit Zwergenbesitzern und versteinerten Zipfelmützen aus Schweden sind Zeugnisse der Kulturgeschichte der Zwerge von der Gestalt aus Sagen und Volksglauben über barocke Skulpturen bis hin zu Keramik- und Plastikzwergen für unsere Gärten ausgestellt.

Neukölln ist ein ungewöhnlicher Ort für eine Ausstellung anlässlich eines Gartenzwergjubiläums. Die Sanierungswelle ist noch nicht bis hier vorgedrungen, Vorgärten sind rar, die Galerie liegt direkt in der Einflugsschneise des Flughafens Tempelhof. Trotzdem – oder gerade deshalb – wird die Ausstellung besonders von Familien und Schulklassen gut besucht.

Liebhabern wie Feinden der Zwerge ist gleichsam Platz eingeräumt worden. Und in einer Malwerkstatt kann schließlich jeder eine Figur ganz nach dem eigenen Geschmack gestalten. Heute kann man auch die verschiedensten Figuren kaufen. Zu den Musikern, Gärtnern, Bergleuten, Anglern und Faulenzern sind Figuren von Politikern, Handwerkern und Beamten gekommen. Auch Business-Zwerge mit Handy und Laptop, Prollzwerge, die den Schreberkoloniebesuchern den ausgestreckten Mittelfinger entgegenhalten, oder ein Schumi-Modell im roten Ferrari werden in Serie produziert. Der absolute Renner in der letzten Vorweihnachtszeit sollen aber die Sexzwerge gewesen sein. Da gibt es Spannerzwerge mit heruntergelassener Hose und Fernglas, schlanke und korpulende Modelle des FKK-Zwergs, ein Zwergenbrautpaar in Dessous.

Ja, in dieser Sparte gibt es natürlich auch Zwerginnen, auch wenn das gegen eine strikte Grundregel der Nanologie, der Lehre von den Zwergen, verstößt. Aber dieser Ausrutscher wird für die Exhibitionistin, die „zeigt, was SIE drunter hat“ (so der Werbetext) oder die Domina in voller Montur offensichtlich in Kauf genommen. Der selbsternannte Nanologieprofessor Fritz Friedmann ist sicher kein Freund solcher Entgleisungen. Auf die Frage, warum es keine Zwerginnen gibt, antwortet er dogmatisch: „Weil nicht sein kann, was nicht sein darf.“

Friedmann ist in der Liebhaberszene nicht irgendwer. Er ist der Vorsitzende der Internationalen Vereinigung zum Schutz der Gartenzwerge, einem Verein, der die Zwerge gegen ihre zahlreichen Gegner verteidigen will. In harmlosen Fällen müssen sie ihre Schützlinge nur gegen verbalen Verunglimpfungen als „Ikone deutscher Spießigkeit“ verteidigen. In anderen Fällen mussten Gerichte entscheiden, ob Gartenzwerge Symbole der „Engstirnigkeit und Dummheit“ sind und somit aus gemeinschaftlich genutzten Gärten entfernt werden müssen. Radikalen Gruppen zur Befreiung der Gartenzwerge ist der legale Weg nicht effektiv genug. Sie schreiten zur Selbstjustiz und befreien überall in Europa Zwerge aus den Gärten ihrer Besitzer. Ob sie wirklich Gegner oder vielleicht sogar besondere Freunde der Figuren sind, ist nicht ganz klar.

Die Aktivisten fordern in ihren Bekennerschreiben mehr Freizeitbeschäftigung für die Gartenfiguren: Beachvolleyball, Wasserskifahren, Joints, Alkohol und Sex. Ihre Aktionen sollen auf Sklaverei und schlechte Behandlung der kleinen Gesellen aufmerksam machen: Kälte, Regen und dem Urin streunender Katzen seien die Gnome schutzlos ausgesetzt.

Warum ausgerechnet ein vermeintlich harmloser Gartenschmuck zu solch Polarisierungen Anlass gibt, kann vermutlich lange diskuttiert werden. Richtig entflammt ist der Streit in den Sechzigerjahren. Bis dahin waren nur handbemalte Keramikfiguren erhältlich. Als die ersten Plastikzwerge produziert wurden, waren sie auf einmal für die Massen von Kleingartenbesitzern erschwinglich. Für sie hat der „Nanus hortorum vulgaris“ – der gemeine oder gewöhnliche Gartenzwerg – das Image des Freund und Helfers, des fleißigen Heinzelmännchens, des naturverbundenen Elementargeistes und Glückbringers.

Zwerge kommen als Erdmännchen, Unterirdische, Wichtel oder Gnome in zahlreichen Sagen und Fantasygeschichten vor. Sie leben in der Erde oder in Höhlen, fertigen aus Gold, Kristallen und Erz magische Dinge. Ihr Ruf als Beschützer der Bergleute und – auf die Gartenzwerge übertragen als Schützer des Hauses – hat hier seinen Ursprung.

Für die Gegner ist der Gartenzwerg schlicht ein Symbol deutschen Spießertums, ein „Nanus venenus“ – ein Giftzwerg. Vielleicht ist für diese Fraktion das Modell des ermordeten Zwerges mit Messer im Rücken gedacht. Vielleicht freunden sie sich über den Kinoerfolg „Die fabelhafte Welt der Amélie“ doch noch mit den Zwergen an. Amélie denkt sich eine ganz andere Rolle für den Gartenzwerg ihres Vaters aus. Der ist nämlich der Haushüter, während sein Zwerg als Weltenbummler umherzieht und ihm regelmäßig Polaroidfotos schickt: Der Zipfelmützenträger vor der Sphinx in Gizeh, der Zwerg vor dem Empire State Building, die „Ikone des Spießertums“ vor fernöstlichen Tempeln. Vielleicht werden die Gegner die Feindschaft auch weiterhin pflegen. Jeder hat schließlich seine Prinzipien.

Die Ausstellung „Geliebt und verspottet – der Gartenzwerg wird 130“ ist bis am 12. Mai in der Galerie im Körnerpark, Neukölln zu sehen. Dienstag–Sonntag, 12–18 Uhr.