Der argentinische Zauberlehrling

Domingo Cavallo, die einstige Geheimwaffe des argentinischen Establishments, sitzt in Untersuchungshaft

Als der Ermittlungsrichter ihm eröffnete, dass er in Untersuchungshaft genommen wird, soll er es nicht geglaubt haben, berichteten seine Vertrauten. Domingo Cavallo galt noch vor einem Jahr als die Hoffnung Argentiniens. Jetzt ist er abgestürzt und sitzt wegen illegaler Waffenlieferungen Argentiniens an Ecuador und Kroatien, die er als Minister der Regierung von Präsident Carlos Menem (1989–1999 im Amt) mitgetragen haben soll, in Untersuchungshaft.

Lange Zeit galt Cavallo als eine Art Geheimwaffe des Establishments. Er war gerade einmal 22 Jahre alt, als er sein Studium der Volkswirtschaftslehre an der Universität Córdoba als Jahrgangsbester abschloss. Ehrensache, dass er später in Harvard promovierte. Anschließend leitete er das ultraliberale Privatinstitut Fundación Mediterránea, das von den mächtigsten Firmen Argentiniens finanziert wird. Als Wirtschaftsminister unter Menem verdoppelte ihm die Fundación Mediterránea sein Gehalt.

Cavallo ist ehrgeizig, unberechenbar und von sich selbst besessen, er kennt keine andere Wirklichkeit als seine. In einer Zeit, als der Durchschnittslohn in Argentinien auf unter 500 Dollar gesunken war, plauderte er in einem Interview, dass er mit weniger als 10.000 Dollar im Monat nicht leben könne.

Im Jahr 1996 überwarf sich Cavallo mit Menem und trat als Wirtschaftsminister zurück. Danach suchte er unentwegt nach Möglichkeiten, in der Politik wieder Fuß zu fassen. Eilig gründete er eine Minipartei und ließ sich 2000 zu den Bürgermeisterwahlen in der Hauptstadt Buenos Aires aufstellen. Mehrere Millionen Dollar aus seinem Vermögen flossen in eine aufwändige Wahlkampagne. Als am Ende kaum mehr als 10 Prozent der Stimmen auf ihn fielen, wollte er von alledem nichts mehr wissen – vor allem nicht von seinen Schulden aus dem Wahlkampf. Anfang 2001 war es dann soweit: Der glücklose Präsident Fernando de la Rúa berief Cavallo zum Wirtschaftsminister.

Erneut im Amt wirkte Cavallo wie ein Zauberlehrling, der die von ihm gerufenen Geister nicht mehr losbekam. Er hielt weiterhin an der von ihm 1991 eingeführten Peso-Dollar-Parität fest, die schon längst nicht mehr zu finanzieren war. Noch schlimmer: Er ordnete alle staatlichen Ausgaben dem Schuldendienst unter. Geholfen hat dies nichts. Am Ende zählte der argentinische Staat 155 Milliarden Dollar Schulden und musste vergangenen Dezember die Zahlungsunfähigkeit anmelden. Der Rest der Geschichte ist bekannt. De la Rúa musste zurücktreten. Cavallo tauchte in Patagonien unter, bis ihn der Richter am Mittwoch vorlud.

Cavallo trat immer im Zehnjahresrhythmus in der argentinischen Wirtschaftspolitik auf. Alles begann im Jahr 1982. Gegen Ende der Militärdiktatur war er Präsident der Zentralbank und nationalisierte die Schulden von privaten Firmen. Damit bürdete er dem Staat eine enorme Schuldenlast auf und befreite die Privatwirtschaft. Der von ihm erhoffte Wirtschaftsaufschwung blieb allerdings aus.

Als Wirtschaftsminister von 1991 bis 1996 bezahlte Cavallo fällig werdende Schulden mit neu aufgenommenem Geld – die Staatsschulden Argentiniens verdoppelten sich in dieser Zeitspanne.

Der Spieler Cavallo, so scheint es, hat auf der ganzen Linie verloren. INGO MALCHER