zukunft des nahverkehrs
: MICHAEL CRAMER über gute Infrastruktur und schlechte Politik

Berlin braucht Massenverkehrsmittel

„Fahrt alle Taxi“, war der Titel eines Kommentars von Andreas Knie, Techniksoziologe an der TU Berlin, an dieser Stelle im Februar, anlässlich des 100sten Jubiläums der Berliner U-Bahn. Die These: Die neue, individualisierte Gesellschaft benötigt keine Massentransportmittel mehr. Die taz diskutiert in Reaktion auf diese streitwürdige These – immer samstags – die „Zukunft des Nahverkehrs“. Letzte Woche schrieb Martin Gegner über die verfallende Kultur des öffentlichen Lebens in der U-Bahn.

Als Provokation ist der Vorschlag von Andreas Knie – alle U-Bahn-Fahrgäste ins Taxi – ja ganz charmant: Wenn man sich allerdings vorstellt, dass die 1,3 Millionen Berliner, die täglich mit der U-Bahn fahren, aufs Taxi umsteigen, geht der Charme seiner Idee verloren: Dann würde sich nämlich in der Innenstadt Taxistoßstange an Taxistoßstange drücken. Aus erhoffter Mobilität würde Immobilität. Ohne die öffentlichen Verkehrsmittel geht es nicht, und von Umfang und Struktur sind sie in Berlin durchaus effizient. Allein das Streckennetz von S-, U- und Straßenbahn beträgt 700 Kilometer. Zudem ist jeder zweite Haushalt autofrei. Die U-Bahn ist schneller als die Londoner Tube, weil Zugangs- und Umsteigewege kurz sind. 90 Prozent der Kunden fahren ins KaDeWe ohne Auto, und kaum eine Wohnung ist mehr als fünf Fahrradminuten von einem U- oder S-Bahnhof entfernt. Wegen der ebenen Topografie kommt man in Berlin mit Bike & ride am schnellsten, mit der Kombination von Bus, Bahn und Taxi am attraktivsten zum Ziel.

Trotz alledem wird viel gemeckert – und das zu Recht. In den letzten Jahren wurde die Situation immer schlechter: Die Fahrpreise haben sich nahezu verdoppelt, die personalfreien Bahnhöfe beeinträchtigen die Sicherheit, die Koordination der Umsteigemöglichkeiten ist unbefriedigend, Verschmutzung und Vandalismus schaffen Unbehagen. Zudem fehlt ein durchgängiger Nachtverkehr.

Für all diese Probleme gibt es aber bezahlbare Lösungen. Untersuchungen und Erfahrungen aus anderen Städten zeigen, dass günstige Fahrpreise die Fahrgastzahlen und damit die Einnahmen steigern. Mehr Personal in den Bahnhöfen hilft den Vandalismus zu reduzieren.

Viele Menschen würden gerne auf die teure Tankfüllung, die Warterei im Stau und die nervige Parkplatzsuche verzichten, wenn sie attraktive Alternativen sähen. Ihnen müssen individuellere Möglichkeiten als Bus und Bahn sie sind, angeboten werden: z. B. Großraum- und Sammeltaxis, Carsharing, preiswerte und unkompliziert zu bestellende Mietwagen, Call-a-Bike-Projekte etc.

Besserer Service und niedrigere Fahrpreise

Das kostet natürlich Geld. Aber sehr viel weniger, als heute für die Subventionierung des Autoverkehrs ausgegeben wird. Studien belegen, dass jedes Auto in Deutschland mit 3.000 Euro bezuschusst wird, wenn die Kosten für Straßenbau und -unterhalt, Unfallfolgen, Umweltbelastungen etc. berücksichtigt werden. Berlins 1,4 Millionen Autos belasten die Allgemeinheit finanziell viermal mehr als BVG und S-Bahn. Die Zuwendungen für Bus und Bahn sind nur so lange notwendig, wie die Fahrgastzahlen zu gering sind. Deshalb müssen durch besseren Service und niedrigere Fahrpreise neue Kunden gewonnen werden.

Seit Jahren propagieren die Berliner Senatsparteien, den öffentlichen Verkehr verdoppeln und den privaten Autoverkehr um zwei Drittel reduzieren zu wollen. Notwendige politische Entscheidungen blieben bislang aus. Im Gegenteil: Durch den Neu- und Ausbau von Straßen wird dem öffentlichen Verkehr verstärkt Konkurrenz gemacht.

Ein Beispiel: Der S-Bahn-Ring ist auch im 13. Jahr nach dem Fall der Mauer noch nicht wieder geschlossen. Wenn die „Strecke ohne Ende“ am 16. Juni dieses Jahres nun endlich in Betrieb geht, wird der verkehrspolitische Effekt – so plant es der rot-rote Senat – durch den parallelen Ausbau der Stadtautobahn zunichte gemacht.

Ein weiteres Beispiel: Der knappe und teure Straßenraum um den Potsdamer Platz ist noch immer nicht parkraumbewirtschaftet, obwohl in den Tiefgaragen tausende von Parkplätzen zur Verfügung stehen. Die Vorstellung, jedermann könnte jederzeit in einer Großstadt für sein Auto genug Platz zum Fahren und Parken finden, ist eine Illusion. Das zeigen auch die Erfahrungen in London, Paris und New York. In Manhattan zum Beispiel fahren nur noch Autos in Gelb – die Farbe der Taxis. Nicht verwunderlich, bei einer Gebühr von 27 (!) Dollar für das Parken und einem Preis von 1,5 Dollar für die U-Bahn. Sie ist das tägliche Verkehrsmittel, auch für Manager und Börsenmakler. Auch in Berlin kann Mobilität nur mit einem attraktiven öffentlichen Nahverkehr gesichert werden.

Michael Cramer ist Verkehrsexperte bei Bündnis 90/Grüne und Mitglied im Berliner Abgeordnetenhaus. Nächste Woche schreibt Oliver Schöller über die Sinnlosigkeit der Kosten-Nutzen-Rechnung.