Geschlossene Gesellschaft

In der DDR setzte sich amnesty international mit relativ wenig Erfolg für die Rechte politisch Verfolgter ein

Alle Bundesregierungen behinderten die Arbeit von amnestyin der DDR

Die Idee für diese Untersuchung stammt von einigen der etwa 250.000 politischen Gefangenen in der DDR. Und amnesty international (ai) selbst gab sie in Auftrag. Anja Mihr, seit März dieses Jahres Mitarbeiterin am Unesco-Lehrstuhl für Menschenrechtsfragen der Universität Magdeburg, recherchierte gründlich in Archiven und befragte Zeitzeugen, um Erfolge wie Misserfolge von amnesty international in Ostdeuschland zu beschreiben. Das Resümee der Autorin fällt zwiespältig aus.

Einige Erfolge konnte ai seit den Siebzigerjahren verbuchen, denn die DDR wollte als demokratischer Staat international anerkannt werden und bemühte sich daher, den Maßstäben von Vereinten Nationen und KSZE gerecht zu werden. In dieser Zeit gelang es amnesty, Forderungen nach Verbesserung der Menschenrechtssituation Gehör zu verschaffen und die Sensibilität für besonders krasse Fälle von Unrecht zu schärfen. Einer der ersten von ai betreuten Häftlinge war der von der Stasi aus der Bundesrepublik entführte Journalist Heinz Brandt. Für andere politische Häftlinge hat amnesty international zumindest zeitweise bessere Haftbedingungen erreichen können.

Allerdings sind alle Versuche gescheitert, die Gefangenen direkt zu unterstützen oder ihre in der Regel nicht öffentlichen Gerichtsprozesse zu beobachten und zu begleiten. Auch ein direkter Dialog mit führenden SED-Vertretern über die Menschenrechtssituation in der DDR ist nur ganz selten zustande gekommen. Das SED-Politbüro antwortete auf Kritik von amesty international in der Regel nur inoffiziell, um zu vermeiden, dass es ins grelle Licht öffentlicher Verurteilungen gerückt würde.

Von ai wurde die DDR als „closed society“ beurteilt. Selbst in den Siebziger- und Achtzigerjahren war die Informationsbeschaffung zu politischen Häftlingen lediglich indirekt über den Umweg von Freunden und Verwandten in der Bundesrepublik möglich. Eine direkte Kontaktaufnahme hätte Gegnern und Opfern des DDR-Regimes geschadet. Schließlich gab es rechtliche Regelungen, die „Spionage“ und „ungesetzliche Verbindungsaufnahme“ unter Strafe stellten. Diese Situation unterschied die DDR deutlich von lateinamerikanischen Militärdiktaturen.

Ganz anders als man glauben könnte, war die Nachbarschaft der Bundesrepublik zur DDR für die Arbeit von amnesty international in Ostdeutschland eher ein Hindernis. Denn: Um die Praxis der Häftlingsfreikäufe nicht zu gefährden – etwa 33.000 Menschen wurden für fast 3,5 Milliarden Mark freigekauft –, suchten alle Bundesregierungen die Arbeit der Menschenrechtsorganisation zu stören. Man argumentierte, eine öffentliche Thematisierung der Lage politischer Gefangener und erst recht natürlich der Freikaufspraxis würde ihre Situation nicht verbessern. Freunde und Verwandte wurden aufgefordert, amnesty international zu meiden.

Die hielten sich jedoch sehr oft nicht daran. Sie wussten, dass es immerhin einen minimalen Schutz für die politischen Häftlinge bedeutete, wenn über deren Schicksal im Westen ausführlich berichtet wurde. Das SED-Regime registrierte schließlich sehr genau, welche Fälle in der Bundesrepublik öffentlich thematisiert wurden. Die überwiegende Zahl der 2.107 von amnesty international in der DDR adoptierten politischen Gefangenen wurde im Rahmen der Freikäufe vorzeitig entlassen.

Dies alles wird von Anja Mihr sehr nüchtern und detailreich, aber im Ergebnis ernüchternd beschrieben. Unzählige Karten und Briefe aus den USA, Schweden, Frankreich, Indien und vielen anderen Ländern der Welt an politische Häftlinge in der DDR fand sie bei ihren Recherchen in den Archiven des untergegangenen Regimes. Ihre eigentlichen Empfänger haben diese Briefe nicht erreicht.

Konnten sie ihren Zweck trotzdem erfüllen? Anja Mihr meint: Der öffentliche Protest und der persönliche Brief sind keine durchschlagenden, aber doch wirksamen Waffen gegen politische Haft. Das Buch ist eine Fallstudie über die Wirksamkeit und die notwendigen Mängel von Menschenrechtsarbeit in „closed societies“. MARTIN JANDER

Anja Mihr: „Amnesty International in der DDR. Der Einsatz für Menschenrechte im Visier der Stasi“, 332 Seiten, Christof Links Verlag, Berlin 2002, 24,90 €