Das Dusel-Puzzle

Ohne Sozialpolitiker Stefan Effenberg schlagen die Bayern die Hertha mit 3:0 und behaupten, nun sei alles möglich

MÜNCHEN taz ■ Zwei Personen bestimmten am Samstagnachmittag im Münchner Olympiastadion zunächst das Geschehen: Rudi Egerer und Stefan Effenberg. Dem verstorbenen Bayern-Busfahrer Egerer hielt Bayern-Manager Uli Hoeneß vor dem Anstoß eine rührende Trauerrede. Und an ihrem neuen Sozialpolitiker wollten die Münchner offenbar gleich einmal ausprobieren, ob der tatsächlich durch Leistungskürzung (sprich: Wegfall der Auflaufprämie) Lust bekommt, wieder einmal zu arbeiten. Statt seiner war Mehmet Scholl in die Elf zurückgekehrt – zum Glück. Denn der ehemalige Karlsruher war lange Zeit der Einzige, der sich beim erst am Ende deutlichen 3:0-Sieg über die Berliner Hertha irgendwie um Kreativität bemühte. Ansonsten war, vor allem in der ersten Halbzeit, deutlich zu sehen, dass hier der deutsche Meister von 1932 gegen den von 1931 spielte – beide Mannschaften sahen ausgesprochen alt aus.

Hertha stand hinten drin und war offensichtlich wild entschlossen, mit eigenen Angriffsversuchen erst zu beginnen, wenn die Bayern müde gespielt wären. Doch diese Rechnung ging nicht auf. Im Schlaf überraschen können hätte man die Bayern jedenfalls nur in der ersten Halbzeit. Da spielte der Noch-Champions-League-Sieger nämlich ausgesprochen fantasielos und wurde nur ab und an über die rechte Angriffsseite ein wenig gefährlich, weil Sagnol und Salihamidzic immerhin fleißig waren. Herthas Offensivqualitäten hingegen endeten sogar schon an der Mittellinie, allein Marcelinho konnte ab und zu einen abgefangenen Ball zum Mitspieler bringen, alle anderen Versuche nach vorne waren grausam anzusehen.

Dazu passte die Atmosphäre im ausverkauften Stadion, die in etwa so prickelnd war wie die in einem Wartesaal der DDR-Reichsbahn morgens um halb vier. Ob das wirklich, wie die Bayern-Bosse bisweilen beklagen, allein am Olympiastadion liegt? In München ist die Inszenierung den Fans komplett – und sehr professionell – aus der Hand genommen worden. Und wenn man sie dann einmal braucht, wissen sie nicht, wie man ein Spiel belebt und herumreißt. Auch das ist immer wieder trostlos anzusehen.

Kurz vor der Pause passierte dann aber doch endlich was: Der unsichere Schiri Kemmling schickte Hertha-Abwehrmann Dick van Burik in der 33. Minute vom Platz, weil dieser ihn mit einem Goethe-Zitat bedacht hatte. „Diese Rote Karte war ein Witz“, echauffierte sich darüber wiederum Herthas Trainer Falko Götz. Und auch Manager Dieter Hoeneß schob Kemmling für den weiteren Fortgang der Partie den schwarzen Peter zu: „Diese Niederlage bedeutet, dass wir den dritten Platz abschreiben können. Das wäre bei elf gegen elf nicht passiert.“

Wirklich nicht? Natürlich musste Falko Götz den immerhin zu offensiven Überraschungen fähigen Thorben Marx herausnehmen und dafür Sverrisson an van Buriks Stelle in die Dreierkette beordern. Aber die Offensivschwäche der Berliner war so eklatant, dass sie wohl auch zu elft früher oder später in Rückstand geraten und danach ausgekontert worden wären. Hervorzuheben ist hier vor allem Alex Alves. Sein stärkster Auftritt war die 76. Minute – da verließ er endlich den Platz. Vorher war er mit seinen aufreizenden Ballvertändeleien der Hauptverantwortliche für Herthas Gurkenauftritt.

Für die Bayern begann sich derweil in gespenstischer Weise das übliche Dusel-Puzzle zum Meisterschaftsausklang zusammenzufügen: Platzverweis für den Gegner, Rückstand für Leverkusen, Ausgleich in Dortmund, Ausgleich auf Schalke, 1:0 für Bayern durch ein krumpliges Eigentor durch Hartmann (67.). Dass Schalke und Dortmund doch noch siegten, wurde im Seelenhaushalt der gen Schlusspfiff immer stärker werdenden Bayern ausgeglichen durch den Doppelschlag von Elber und Pizzarro (82./83.). Mehr noch: Der Sieg lässt, glaubt zumindest Bayern-Manager Hoeneß, „von Platz eins bis drei“ plötzlich wieder alles möglich scheinen. Oder, wie es Trainer Hitzfeld formulierte: „Der Titel ist wieder drin.“

OLIVER THOMAS DOMZALSKI