Achttausender, verschleiert

Von Peschawar bis zur chinesischen Grenze: Der Norden Pakistans ist ein Kaleidoskop aus Völkern, Landschaften und alten Königreichen. Mitten hindurch führt der Karakorum Highway mit Blick auf grandiose Landschaften und abenteuerliche Welten

von STEFANIE BISPING

Der Basar von Peschawar ist ein Labyrinth von Teestuben und Teppichgeschäften, Ständen von Juwelieren und Stoffhändlern; gesäumt wird er von Kinos, deren Fassaden schrille, gewaltstrotzende Plakate zieren. Ein ständiger Strom von Pathanen unter hohen Turbanen, von Kindern, Bewaffneten, Ziegenherden, Pferdekarren und Mopeds schiebt sich durch enge, zerlöcherte Straßen, nur gelegentlich eilen fast unsichtbare Frauen vorbei. Sie sind verhüllt vom Scheitel bis zu den Füßen – nicht mal ein Schlitz für die Augen erlaubt klare Sicht in Staub und Smog der Provinzhauptstadt.

In den Stammesgebieten westlich der Stadtgrenzen endet das pakistanische Gesetz praktisch am Straßenrand. Rache ist ein Gericht, das am besten kalt serviert wird, wissen die Menschen (hier: Männer) in der Nordwest-Grenzprovinz. Zubereitet wird dieses Gericht vor allem in Fragen der Ehre, und anschließend sind meist einige Menschen tot, darunter regelmäßig Frauen, die angeblich Blicke riskiert oder toleriert haben. Die eigenartigen Moralvorstellungen wurden von den Briten noch romantisch verklärt; heute erweist sich nicht selten, dass auch unbequeme oder vor allem ihrer Mitgift wegen interessante Frauen wegen vermeintlicher Ehrverletzungen ermordet werden.

Im Jahr 2000 kam eine halbe Million Besucher nach Pakistan. Nach dem Willen von Colonel S. K. Tressler, Minister für Minderheiten, Kultur, Sport, Tourismus und Jugend, sollten es bald mehr werden – bis der Krieg in Afghanistan westlicher Reiselust in die Region ein abruptes Ende bereitete. Nun sollen die Botschaften im Ausland erst recht mit besseren Informationen versorgt, die Tourismusbüros im Inland modernisiert werden. Zudem will Tressler die staatlichen Hotels der Pakistan Tourism Development Corporation „substanziell verbessern“. Schaden wird das nicht, denn sichtlich benutzte Handtücher und Bettwäsche sind für viele Touristen schwerer noch zu ertragen als die äußerst spärliche Verfügbarkeit von Alkohol.

Wer sich dennoch herwagt, verlässt Peschawar zumeist in Richtung Norden und der alten Seidenstraße. Mit der Idylle aus Reisfeldern und Granatapfelbäumen vor Bergpanorama als „Schweiz des Ostens“ gepriesen, liegt das liebliche Swat-Tal so niedrig, dass es ganzjährig erreichbar ist. Vergleichsweise unspektakulär wird man es erst finden, wenn man die nach Aprikosen duftenden Landschaften Hunzas erreicht hat, wohin der bereits legendäre Karakorum Highway führt.

Der Weg dorthin ist weit, von grandioser landschaftlicher Schönheit und voll von Bildern eines fernen, fremden Alltags. In Saidu Sharif sitzen Metzger in ihren Ständen auf Holztischen und zerteilen Fleisch auf großen Baumstümpfen. Auch auf dem Land ist die Rollenverteilung klar umrissen: Männer stehen auf der Straße, schwätzen oder starren Ausländerinnen an, Frauen arbeiten auf dem Feld. Komplette Verschleierung, die bei der Arbeit nur stören würde, sieht man hier selten.

Namen wie aus Tausendundeiner Nacht weisen den Weg nach Norden. Bei Besham trifft die Straße auf den Karakorum Highway, der nach Indus Kohistan führt. Zäh und schlammgrau wälzt sich der Indus neben der Straße vorbei: Kaum eine Pflanze ist zu sehen, nur Staub und schneebedeckte Gipfel in der Ferne: das westliche Ende des Himalaja. „Yaghistan“ wurde diese Gegend auch genannt, das Land der Unregierten.

Die 12.000 Kilometer lange Straße, von 1966 bis 1978 von Pakistan und China erbaut, erschloss den Norden Pakistans für den Tourismus. Bei ihrem Bau kamen tausende Menschen um. Nördlich von Gilgit steht ein gewaltiger Bohrer auf einem Sockel vor der Bergkulisse, Denkmal für jene „galanten Männer, die sich das Karakorum zur Heimat wählten“, wie es auf einer Tafel heißt. Von einer „Wahl“ kann indes nicht wirklich die Rede sein. Die Arbeiter wurden an Seilen zur Baustelle hinabgelassen, um Löcher in die Felsen zu bohren, die sie mit Dynamit füllten. Häufig wurde versäumt, sie rechtzeitig wieder hochzuziehen.

Die nördlichen Gebiete gehören formal nicht zum Staat Pakistan, sind aber staatliches Verwaltungsgebiet. Wie in einem bunten Teppich sind Völker, Sprachen, Stämme und Konfessionen hier verwoben. Oft trennt muslimische Ismaeliten, Sunniten und Schiiten nur ein Tal, aber auch ein Abgrund aus Unverständnis.

Für Touristen gehört das politisch sensible Gebilde an der alten Seidenstraße zu den Hauptanziehungspunkten des Landes. Mit der weltweit dichtesten Konzentration von Achttausendern zaubert es nicht nur Bergsteigern einen verträumten Blick ins Gesicht. Magische Worte wirbeln vorbei und benennen magische Orte: Rakaposhi, 7.788 Meter. Nanga Parbat, der „Killer-Berg“, 8.125 Meter. Vor allem der K2, mit 8.611 Metern zweithöchster Berg der Welt, ist Ziel heutiger Expeditionen. Zehn Wochen und 70.000 Euro pro Person wollen sie ihm opfern, erzählen sächsische Bergsteiger, während sie darauf warten, dass ein Felsbrocken, der die Straße blockiert, weggesprengt wird.

Karimabad, die Hauptstadt des ehemaligen Königreichs Hunza, ist eigentlich nur ein Dorf, das zwischen Karakorum Highway und dem Berg Ultar an einer Felswand klebt. Noch vor zehn Jahren konnte es gerade mal auf eine Hand voll Geschäfte verweisen, mittlerweile hat es sich in eine betriebige Ladenstraße verwandelt. Das liegt am Highway, der Touristen bringt, und an Baltit Fort, bis 1960 Sitz der Herrscher Hunzas, der sie ins Dorf lockt. Vom Dach des Forts konnte einst der Mir nach Feinden Ausschau halten, die Augen auf dem Rakaposhi ruhen lassen oder dem Dorf, wo sich abends die Menschen auf den Dächern ihrer Häuser versammeln – wenn ihn die Lust anwandelte, verschacherte er sie an Sklavenkarawanen.

Nur knappe zwei Autostunden und einige über den Highway plätschernde Wasserfälle von Karimabad entfernt liegt Sost, eine der letzten Ansiedlungen vor der chinesischen Grenze. Im Wesentlichen besteht sie aus einem Parkplatz, auf dem Lkw-Fahrer im Schatten ihrer bunt verzierten Laster Rast machen und ihre Fracht neu verschnüren. Die Radios singen chinesisch, Händler verkaufen geschmuggelte Seide, eine internatioanle Atmosphäre – doch nur einen Steinwurf vom Highway entfernt führt jeder Weg in eine andere Welt, die mit dem globalisierten Tourismus nichts gemein hat.