Kontrollierter Protest

Parteien und Kirchen hatten aufgerufen, sich NPD-Aufmarsch in Hohenschönhausen in den Weg zu stellen. Polizei zeigte sich unbeeindruckt: Gegendemo wurde verboten, Blockadeversuche vereitelt

Erneut die üblichen Szenen: Polizisten tragen die NPD-Gegner von der Straße

von DIRK HEMPEL
und HEIKE KLEFFNER

Protest ja, aber nur im kontrollierten Rahmen. Der Aufruf der „Initiative Europa ohne Rassismus“, sich der NPD in Hohenschönhausen laut, bunt und friedlich entgegenzustellen, scheiterte gestern an einem Großaufgebot der Polizei. Mehrfach wurden die NPD-Gegner abgedrängt. Bereits im Vorfeld war eine Gegendemonstration von Bürgern aus Hohenschönhausen durch die Polizei verboten worden – obwohl auch Prominente wie Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD), Vertreter von Gewerkschaften, Kirchen, jüdischen Organisationen und den Parteien PDS, Grüne, FDP und SPD dazu aufgerufen hatten, sich an den Protesten zu beteiligen.

Urspünglich hatten die Beamten offenbar vor, den östlichen Teil Hohenschönhausens, wo sich die Nazis versammelten, komplett zu sperren. Die Teilnehmer an einer von einer evangelischen Gemeinde angemeldeten Gegenkundgebung waren jedoch schlauer, als der Polizei lieb war: Unter dem Vorwand, sie wollten die Andacht in einer nahe gelegenen Kirche besuchen, gelangten sie durch die Polizeisperren. Etwa 300 vermeintliche Kirchgänger mit „Che Guevara“-T-Shirt, Bad-Religion-Aufnäher und bunten Haaren näherten sich den überwiegend kahlköpfigen NPD-Anhängern und kamen nur 30 Meter von ihnen zum Stillstand. Mit Pfiffen und „Nazis raus“-Rufen artikulierten sie ihren Protest. Bei der Polizei traten erste Nervositäten auf: „Die Lage hier ist so unübersichtlich“, quäkte ein Beamter in astreinem Schwäbisch ins Funkgerät.

Deswegen musste das Gros der knapp 1.000 Gegendemonstranten westlich der S-Bahn-Trasse am S-Bahnhof Hohenschönhausen bleiben. Auch hier entstand Unruhe, als die Polizei einen Trupp von 30 NPD-Anhängern durch die Menge lotste. Es kam zu Drängeleien zwischen Beamten und Teilnehmern der Protestveranstaltung. „Das ist auch eine Art von Gewalt, hier Nazis durch unsere Demo zu führen“, tönte es aus dem Lautsprecherwagen. „Also Leute, tut was dagegen“, forderte die Sprecherin weiter.

Ähnlich auch das Bild am Aufmarschpunkt der NPD. Mit körperlicher Gewalt versuchten Polizisten, die Gegendemonstranten abzudrängen, eine etwa 50-jährige Frau ging verletzt zu Boden. Mit einer Stunde Verspätung erst konnten die Nazis sich in Bewegung setzen – und kamen nach 200 Metern schon wieder zum Stillstand. Mehrere Anwohner blockierten dort die Straße: „Die hatten doch jetzt schon ihr Versammlungsrecht“, riefen sie den Polizisten zu, „schickt die Nazis wieder nach Hause!“ Als die Blockierer auf ihrer Forderung beharrten, kam es zu den üblichen Szenen: Polizisten tragen die NPD-Gegner von der Straße, es wird gedrängelt und gezogen. „Nicht die Leute über den Asphalt zerren“, ermahnte ein Polizeiführer seine Untergebenen zur Mäßigung.

Ein Hohenschönhauser Rentner berichtete, seine Proteste seien von einem Polizeibeamten mit den Worten „Scheiß DDR, ihr Roten“ kommentiert worden. Da halfen auch beschwichtigende Sätze der Grünen-Parteichefin Claudia Roth nichts, der PDS-Anhänger drehte sich mit dem Satz „Ich dachte, wir dürfen hier frei protestieren“ um und stellte sich neben lautstark pfeifende Jugendliche. Diese begleiteten die Neonazis dann auch in den kommenden vier Stunden mit lauten Parolen und Eierwürfen bis zum Aufmarschende am S-Bahnhof Hohenschönhausen. Dort warteten zum ersten Mal keine „Ergänzungszüge“ der S-Bahn AG auf die sichtlich demotivierten Glatzköpfe, die vormittags mit Bussen und Regionalzügen aus Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt angereist waren.

Kritik an der Innenverwaltung übte der Grünen-Abgeordnete Volker Ratzmann, der wie Kultursenator Thomas Flierl (PDS) und zahlreiche PDS-Abgeordnete vor Ort war. „Das Zögern des Senats, Proteste gegen die NPD zuzulassen, war zu keinem Zeitpunkt gerechtfertigt.“ Im Übrigen sei es angesichts des europaweit zunehmenden Rechtsextremismus notwendiger denn je, „Protest nicht zu kriminalisieren“.