Nur die CDU schlägt Krawall

Innensenator, Polizei und Veranstalter ziehen trotz der Ausschreitungen eine positive Bilanz des 1. Mai. Union und Polizeigewerkschaft erheben schwere Vorwürfe gegen die Deeskalationstaktik

von DIRK HEMPEL
und PLUTONIA PLARRE

Genauso ruhig und nüchtern, wie der Einsatz am 1. Mai über weite Strecken verlief, zogen Innensenator Ehrhart Körting (SPD) und die Polizeiführung gestern Bilanz. Die eingeschlagene Deeskaltionslinie der „ausgestreckten Hand“ habe zwar „keinen sensationellen Durchbruch“ gebracht, aber sie sei auch nicht gescheitert, sagte Körting. „Noch nie“ sei so deutlich geworden, dass das Gewaltritual mit Politik nichts mehr zu tun habe. Die Polizei habe durch „besonnenes, zurückhaltendes Auftreten“ widerlegt, dass sie der Auslöser für die Krawalle sei. Und mit Blick auf die Zukunft: „Es gibt keinen Anlass, von dem eingeschlagenen Weg abzuweichen.“

Die Veranstalter der größten linken 1.-Mai-Demonstration zeigten sich zufrieden. Der Zug vom Rosa-Luxemburg-Platz nach Kreuzberg „ist so weit ganz gut gelaufen, bis wir von der Polizei auf den Michaelkirchplatz geleitet wurden“, sagte gestern Marc Schlosser für die Antifaschistische Aktion Berlin. Schlosser sprach von „einer begrüßenswerten Tendenz der polizeilichen Zurückhaltung“, obwohl die Polizeiführung am Ende des bis dahin friedlichen Zuges von der Deeskalation abgewichen sei. Auch Wolf-Dieter Narr und Elke Steven vom Komitee für Grundrechte und Demokratie bezeichneten die kurzfristige Änderung der Demonstrationsroute als „hochgradig ungünstig“. Ergebnis der von dem Komitee durchgeführten Demonstrationsbeobachtung: Die drei linken Demonstrationen seien friedlich verlaufen. Zu den Auseinandersetzungen sei es erst im Nachhinein gekommen.

Von CDU, Polizeigewerkschaften und Boulevardpresse wurde der Innensenator gestern wegen der Ausschreitungen schwer unter Beschuss genommen. CDU-Fraktionschef Frank Steffel warf Körting vor, mit dem Deeskalationskonzept die Gewalt geradezu „heraufbeschworen“ zu haben. Es sei „wohlfeil“ ihm die Schuld zuzuschieben, konterte Körting. „Das Problem müssen wir schon alle lösen, dass es Leute gibt, die an ein bis zwei Tagen im Jahr meinen, die Sau rauslassen zu müssen.“

Der amtierende Polizeipräsident Gerd Neubeck und der Chef der Schutzpolizei, Gernot Piestert, appellierten an die Gesellschaft, das Thema Gewalt am 1. Mai von nun an konzentriert anzugehen. Im Vergleich zu den Ausschreitungen im vergangenen Jahr ist die diesjährige Bilanz laut Piestert „so negativ nicht“. Er sei mit dem Verlauf „nicht unzufrieden“. Um zu sehen, ob das Konzept wirklich etwas bringe, müsste es einige Jahre ausprobiert werden. Piestert hatte im vergangenen Jahr ein Verbot durchgesetzt und sich auch dieses Jahr dagegen ausgesprochen, die „revolutionäre 1.-Mai-Demonstration“ durch Mitte laufen zu lassen.

Der FU-Professor Peter Grottian habe der Polizei mit seiner Inititative „Denk Mai neu“ den entscheidenden „Denkanstoß“ gegeben, sich zu bewegen, sagten Neubeck und Piestert. Mit den Selbstregulierungskräften der Demonstranten sei es aber noch nicht weit her gewesen.