Stimme der Jugend

Philippinische Jugendliche gestalten jeden Sonntag ein Radioprogramm gegen die sexuelle Ausbeutung von Kindern. Die meisten von ihnen wurden selbst misshandelt und missbraucht

aus Cebu City CLAUDIA BLUME

„Guten Morgen, lieber Zuhörer – vor allem meine Tanten in Consolacion“, ruft die 15-jährige Mirasal Mabala im Studio des lokalen Senders „dySS“ in Cebu City fröhlich ins Mikrofon. Dann übernimmt der gleichaltrige Christopher John Alforque: „In unserer heutigen Diskussionsrunde sprechen wir über ein ernstes Thema, das einem Krebsgeschwür gleicht: Kinderhandel – das Entführen und der Verkauf von Kindern für Sextourismus und Pornografie.“

Jeden Sonntagmorgen geht es in der 30-minütigen Radiosendung „Tingog sa Kabataan“ („Stimme der Jugend“) um Themen wie Kinderpornografie, Kinderhandel und Kinderprostitution. Die Radiomacher wollen warnen und aufklären. „Wir wollen mit dem Radioprogramm zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen“, sagt Anjanette Saguisag von der Kinderschutz-Organisation Ecpat („End Child Prostitution and Trafficking“), die das Radioprojekt 1999 gründete. „Zum einen wollen wir Kinder über ihre Rechte aufklären und auch Erwachsenen zeigen, dass Kinder Rechte haben. Zum anderen wollen wir die Präsenz von Kindern und Jugendlichen in den Medien verstärken.“ So entstand die einzige von Jugendlichen gemachte Radiosendung der Philippinen.

Blutig geschlagen

Die meisten der 14- bis 21-jährigen Radiomacher kennen die Themen aus eigener Erfahrung. Fast alle sind selbst Opfer sexueller Ausbeutung gewesen oder von ihren Eltern misshandelt worden – wie die 19-jährige Juliette Auman. Mit 16 floh sie in ein von Nonnen geleitetes Notzentrum für Jugendliche. Ihre Mutter hatte sie regelmäßig blutig geschlagen, ihr Vater schor ihr den Kopf kahl, weil sie sich mit Jungs traf und an Schönheitswettbewerben teilnahm. Weil sie anderen helfen will, ist sie seit zwei Jahren eine der aktivsten Mitarbeiterinnen des Radioprojekts. Sie sagt: „Unsere Sendung ist eine Inspiration für andere Kinder und Jugendliche. Es gibt hier so viele, die Hilfe brauchen, aber nicht wissen, wo sie danach suchen sollen.“

Die Touristeninsel Cebu ist neben Manila eines der Hauptzentren für Kinderprostitution und Kinderhandel in den Philippinen. Cebu City ist sowohl Endstation als auch Umschlagplatz für Kinder und Jugendliche aus anderen Teilen der Insel und aus dem Süden des Landes, die entweder hier bleiben oder auf die Hauptinsel Luzon weiterverschifft werden. Anstatt dort – wie von Schlepperbanden versprochen – lukrative Jobs zu finden, werden sie gezwungen, im Sexgewerbe zu arbeiten.

Die Nichtregierungsorganisation Ecpat hat erkannt, dass der Einsatz von Medien der effektivste Weg ist, um Kinder vor diesen Gefahren zu warnen und über ihre Rechte aufzuklären – aber auch um Erwachsene zu informieren und Entscheidungsträger wachzurütteln. In den meisten Gegenden des Inselstaats ist das Radio die wichtigste Informationsquelle. „Tingog sa Kabataan“ kann auf den meisten zentralphilippinischen Inseln empfangen werden. Das in der lokalen Sprache Cebuano produzierte Programm ist inzwischen die fünft-meistgehörte Sendung in der Region. Die private Station „dySS“ überlässt den Jugendlichen kostenlos Sendezeit, und Terre des hommes trägt die Produktionskosten.

Die jugendlichen Radiomacher wurden von lokalen Nichtregierungsorganisationen ausgewählt und zunächst von Profis mit den Grundregeln des Radiomachens vertraut gemacht. „Das Wichtigste, was wir gelernt haben, war das Schreiben von Manuskripten“, sagt Juliette Auman. „Und was man im Radio sagen darf und was nicht.“ Die 20-jährige Vivian Ardina ergänzt: „Das Schwierigste war zunächst, dass man die Zuhörer nicht sehen kann. Es ist so, als ob man gegen eine Wand spricht.“ Da alle Jugendlichen in die Schule gehen oder in der Ausbildung sind – eine Voraussetzung für die Teilnahme am Projekt –, werden die Sendungen samstags produziert. Die Gruppe, im Schnitt acht bis fünfzehn Jugendliche, trifft sich zunächst zum Brainstorming und dem Schreiben der Manuskripte im Ecpat-Büro. Danach wird die Sendung im Studio aufgezeichnet. Jede Sendung besteht aus einem Diskussionsforum, Nachrichten, Kommentaren und kurzen Hörspielen. Alle Themen bewegen sich im Rahmen der UN-Kinderschutz-Konvention. So oft wie möglich machen die Jugendlichen Interviews – mit Opfern, Politikern, Psychologen oder Juristen. Während die erwachsenen Betreuer anfangs die Manuskripte erheblich redigierten und die Inhalte der Sendung beeinflussten, sind die Jugendlichen heute stolz darauf, die Sendungen selbstständig zu produzieren.

Der konkrete Einfluss der Sendung im Kampf gegen die sexuelle Ausbeutung von Kindern ist nur schwer abzuschätzen. Deutlich ist jedoch, wie wichtig die Sendung für die jugendlichen Radiomacher selbst ist. Juliette Auman etwa hat sich mit ihren Eltern versöhnt, nachdem diese ihre Tochter im Radio gehört hatten. Sie studiert heute Psychologie – um ihre Eltern besser zu verstehen, die selbst in ihrer Jugend misshandelt worden waren. Vivian Ardina ist eine gefragte Teilnehmerin an politischen Diskussionsrunden zum Thema Kinderprostitution. Die Politiker in ihrem Heimatbezirk nehmen sie ernst, weil Vivian nicht irgendeine Jugendliche, sondern Radiomoderatorin ist.