Tod in der Bürgerschaft

■ Büchners „Danton“ stirbt im Real-Parlament. Ein Gespräch über Verführung, Revolutionsgeist und das „Kreativ-Problem“ des Plenarsaals

„Dantons Tod“ in Bremen: Die Bürgerschaft verwandelt sich in die französische Nationalversammlung. Die Regisseurin des Büchner'schen Revolutionsdramas ist Barbara Bilabel.

taz: Gerade hat Bundestagspräsident Thierse ein Theaterprojekt im Bonner Wasserwerk als unvereinbar mit der „Würde des Hauses“ abgelehnt. Sie hingegen haben am Sonntag in der Bürgerschaft Premiere. Ist im Bremer Parlament sonst nichts los, oder ist man hier einfach lockerer?

Barbara Bilabel: Das hat sicher zwei Teile. Einerseits hat der hiesige Präsident, Herr Weber, ein großes Interesse daran, das Haus zu beleben. Aber dann musste er die Idee seinen Kollegen in der Bürgerschaft ziemlich anstrengend nahe bringen. Herr Weber hat heldenhaft gekämpft. Und unsererseits haben wir versucht, die widerständigen Abgeordneten zu verführen.

Wie das?

Wir haben schöne Modelle gebaut und erzählt, dass es auch ein Bankett mit richtigem Essen gibt. Dass die Politik uns Unordentliche da hineinlässt, empfinde ich als ein sehr liberales und tolerantes Denken.

Und wie haben die Abgeordneten konkret auf das ungewohnte Miteinander im Haus reagiert?

Es gab eine kleine Gruppe der Beleidigten, die auf laute Hausmeisterweise ihr Hausrecht beansprucht haben. Und es gab die diskret Neugierigen, die mit einem leisen Lächeln um die Ecke schauten. Herr Weber sagte mal: Wenn noch eine Rolle frei ist, möchte ich derjenige sein, der am Schluss den Korb mit den abgehackten Köpfe herausträgt.

Parlamente sind zur Zeit ja eine brauchbare Lehrbühne für Theater. Haben Sie sich jetzt mal die Bürgerschaft im Normalbetrieb zu Gemüte geführt?

Ja. Wie die Abgeordneten aussehen, wenn sie kungeln, also sich mal kurz für Absprachen auf die Seite bewegen, das haben wir dann übernommen.

Ist der Raum sehr schwierig zu bespielen?

Weiß Gott. Das sind unheimlich viele Quadratmeter. Der Festsaal ist opulent dekoriert, dort gibt es zu Anfang das Buffet. Dann geht es im Plenarsaal weiter. Dort habe ich nur den Boden aufgerissen.

Das durften Sie!?

Na ja, mit den Zaubermitteln des Theaters.

Ist es akustisch schwierig, ohne die Mikrophonanlage?

Nein. Aber dafür gibt es im Plenarsaal ein Kreativ-Problem, finde ich. Während der Proben haben wir uns immer gefragt: Wie halten das die Abgeordneten hier aus? Ich kann mir fast keinen Raum vorstellen, der hermetischer und zwanghafter ist, als dieser Raum. Man musste immer rausgehen, um den Blick wieder frei zu kriegen. Die Parlamente sind ja eine Frucht der französischen Revolution, aber hier hat man das Gefühl, sie ist entfernt worden.

Und Sie bringen Sie wieder rein?

Wir versuchen das. Durch Lärm, Farben und Affekte. Außerdem könnte der Abend ein wenig unvermutet enden.

Bei der jüngsten Danton-Inszenierung durch Nicolas Stemann in Basel sieht das Publikum eine überdimensionierte Masturbationsszene – um den Hedonismus der Figuren zu betonen. Setzen Sie den unschuldigen Bremern auch ein paar „Schocker“ vor?

Für den armen unschuldigen Bremer wird es schon ein bisschen lebendig werden. Aber für meine Begriffe ist das eine hoch zivilisierte Aufführung.

Was ist Ihnen besonders wichtig gewesen?

Man muss unbedingt thematisieren, für wen man eine Stück über die Revolution macht. Und für wen deren Werte, also die Menschenrechte, nicht mehr gelten. Wer kann zum Beispiel die 30 Euro für unseren Theaterabend ausgeben?

Dann gibt es eine Diskrepanz zwischen dem Inhalt Ihrer Inszenierung und dem äußeren Rahmen.

Ja. Das ist die schizophrene Situation, in der wir uns sowieso befinden. Meine Zuschauer sollen mit vollem Bauch von den Schauspielern hören, dass die Hunger haben. Und daraus die Frage ableiten, ob es da vielleicht ein Unrecht gibt.

Hunger war ja der Auslöser der französischen Revolution. Mir geht es um die Frage: Wie antworten wir auf Hunger. Wie halten wirs mit sozialen Utopien? Das ist ja auch die Erfahrung meiner Generation: Wenn man 1968 mit vor den Werkstoren von Siemens stand, um zu agitieren, und keiner kam raus – dann stand man dumm da mit seinen Utopien. Dieses „abgegessene Gefühl“ ist die Ausgangsbasis der Inszenierung.

Interview: Henning Bleyl