DIE FDP HAT DIE SPASSPOLITIK ERFUNDEN – WIRD SIE JETZT IHR OPFER?
: Die Liberalen als Neugermanen

Die alten Germanen hatten einen eigenartigen, aber markanten Brauch. Sie wählten ihren Herrscher per „Akklamation“. Die Krieger eines Stammes hoben den Stärksten und Schlauesten unter ihnen auf einen Schild – das war dann das Zeichen, dass er sie in die nächsten Schlachten führen sollte. Denn Krieg und Politik waren das Gleiche.

Alles lange her? Nicht für Guido Westerwelle. Die Zeichen mehren sich, dass er vorhat, sich morgen auf dem FDP-Bundesparteitag per Akklamation zum Kanzlerkandidaten der Liberalen küren zu lassen. Die Delegierten sollen ihn durch Jubel zwingen, sich selbst zu überschätzen. Nur auf das Schild dürfte verzichtet werden, um einen Kanzlerkandidaten auszurufen, der nie Kanzler wird.

Die Liberalen als Neugermanen: Was soll das? Denn die Akklamation war eigentlich spontan – Kampf von unten, von der Basis. Bei der FDP jedoch wird der Jubel lange geplant, in Interviews angekündigt, von der Führung vorgegeben. Eine Akklamation hört auf, eine Akklamation zu sein, wenn sie reklamiert wird.

Aber das ist ja gerade der Witz: Die FDP ist die erste Partei in Deutschland, die damit wirbt, dass sie ist, was sie nicht ist. So ist das Neue an der FDP nicht, dass Spontanität inszeniert wird – diesen Trick beherrschen auch andere. Das Neue ist, dass die FDP die Inszenierung kenntlich macht. Das war auch das Neue am „Projekt 18“. Es entfaltet seinen Charme, gerade weil jeder immer wusste, dass die 18 Prozent nicht zu erreichen sind. Und genauso hat man ab morgen einen Kanzlerkandidaten, der nie Kanzler wird. Und arbeitet auf einen Bundesparteitag an einem länglichen Wahlprogramm, obwohl doch die einzige Botschaft schon feststeht: „Guido for president“.

Die FDP: Das ist das konsequente Paradox. Und dann gibt es da noch ein scheinbar inkonsequentes Paradox. Das ist die neue liberale Angst vor Sachsen-Anhalt, die auf dem Parteitag spürbar wird. 13,3 Prozent erreichte die FDP dort bei den Landtagswahlen im April – obwohl sich doch Programm und Personal seit 1998 kaum verändert haben, wie die Liberalen selbst am besten wissen. Also kann es nur am Spaßprojekt 18 gelegen haben.

Doch damit wird aus dem Spaß plötzlich Ernst. Das nehmen einige Liberale zu Recht so ernst, dass sie sich ihre Mahnungen nicht nehmen ließen. „Manchmal habe ich das Gefühl, dass wir die Substanz ein wenig hinter den glänzenden Internet- und Talkshow-Auftritten vergessen“, warnte Otto Graf Lambsdorff seine Parteigenossen. „Wir müssen aber, soll der Erfolg dauerhaft bleiben, auch die Seriosität unserer Botschaft betonen.“ Aber vorher wird Guido Westerwelle noch zum Germanen gemacht. ULRIKE HERRMANN