Guillotine statt Geschäftsordnung

■ Premiere: Die Bürgerschaft als offizielles Theater. Drei Parlamentarier rezensieren „Dantons Tod“

Joachim Klement, der zuständige Dramaturg des Bremer Theaters, charakteri-siert die Haltung des müde gewordenen Revolutionärs Danton so: „Ihn lähmt der Ekel vor der Schuld, die jeder politisch Handelnde unweigerlich auf sich lädt.“ Vom Vertreter der Grünen-Fraktion wollten wir wissen, ob er diese Sicht teilt. Hermann Kuhn kam 1991 für Bündnis 90/Die Grünen in die Bürgerschaft, deren Vizepräsident er seit sieben Jahren ist. Außerdem arbeitet er als Schriftsetzer. Bis zu seinem Berufsverbot 1974 war er Lehrer in Brinkum.Vor der Tür die Guillotine: Was wird im Haus der Bürgerschaft gespielt? In der Woche Landtag, am Wochenende „Dantons Tod“. Diese Inszenierung stellt die Grenzen, Halbheiten und Verderbtheiten der Französischen Revolution, des Geburtsaktes der europäischen Republik, ins Zentrum. Der Aufführungsraum, Ort demokratischer Legitimation, provoziert Fragen an unser Parlament wie an das Stück; wir Abgeordneten können den Theaterleuten für ihre mutige Idee nur dankbar sein. Der erste Teil spielt im Festsaal, die Zuschauer werden verpflegt, im hellen Abendlicht entfalten sich die Hoffnungen der Revolution, um schnell enttäuscht zu werden. Die Bürger erhalten, so der in Bremen erfundene Prolog, statt Brot: nur Steine. Die Revolutionäre Danton – dessen Lotterleben ein bisschen angestrengt und fad aussieht – und Robespierre liefern sich ein spannendes Rededuell auf den Resten des Banketts. Aber ob der eine von unterdrückter Sexualität angetrieben wird und der andere von verzweifelt hungriger Lebenslust: Mit den wirklichen Nöten der kleinen Leute habe die Politik beider nichts mehr zu tun, sagt die Inszenierung. Die Revolution sei eben „nur“ bürgerlich, nur Freiheit zu fressen für die einen und zu hungern für die anderen. Das ist weniger Büchner, mehr überkommene linke Demokratie-Kritik, finde ich. Der zweite Teil spielt im Plenarsaal, an CDU-Bänken sitzen stumm afrikanische Flüchtlinge; Gefängnis, der Konvent – noch Parlament, Tribunal, Exekutive in einem. Ein finsterer Ort. Präsidium und Deputierte sind durch Outfit und Technik in die Nähe zu heutigem Politikbetrieb gerückt. Großartige Reden werden gehalten. Donnerwetter, denkt der zuhörende Abgeordnete. Das Wort hat Macht, daran glauben wir ja auch. Aber es hat auch tödliche Macht, wenn es sich direkt an die Massen wenden kann und aus dem „Hosianna“ das „Kreuziget ihn“ gegen Danton macht. In dieser düsteren Stunde habe ich an die Geschäftsordnung (!!) gedacht, an die trockenen Verfahren, die heute verhindern, dass ein Präsident nach Belieben die Sitzung schließen kann; daran, dass das Parlament heute ein geschützter Raum ist, geschützt vor direkt einwirkenden Erregungen; „abgehobener“, komplizierter und damit undramatisch. Geschützt auch vor Eingriffen der Polizei. Kurz, dass wir im Großen und Ganzen das erreicht haben, was der Dantonist Hérault als Aufgabe beschreibt: „Die Revolution muss aufhören, und die Republik muss anfangen.“ Das Recht muss an die Stelle der Pflicht treten, das Wohlbefinden an die der Tugend und die Notwehr an die der Strafe. Ein gutes Grundsatz-Programm, noch heute. Der Konvent war kein Parlament im heutigen Sinn, Danton und Robespierre noch keine „Politiker“ von Beruf. Sie sind mitten drin im blutigen Geburtsakt der Moderne. Dies durch die Inszenierung ins Heute zu verlängern und davon zu sprechen, dass „jeder politisch Handelnde unweigerlich Schuld auf sich lädt“, ist jedoch eine ganz unangemessene Dramatisierung gegenwärtiger Politik. Aber vielleicht haben solch romantische Vorstellungen auch mit deutschen Vorurteilen gegen „Politik“ zu tun? Schließlich, statt Büchners Ende – die „unpolitische“ Nacktheit und Menschlichkeit vor dem Tode –, eine Kehrtwende, in Bremen (wie der Prolog) hinzufügt. Die afrikanischen Statisten brechen in einen wortlosen Tumult aus, bis ein Wortführer erklärt, die Revolution müsse weitergehen. Irgendwie, weltweit. Das ist ein aufgesetzter Schluss, den das Stück selbst gar nicht her gibt. Früher musste im Theater immer der Klassenkampf vorkommen, jetzt ist es die Globalisierung. Das nervt ein bisschen. Offen gestanden: Es gibt Abgeordnete, über welches Thema die auch reden, sie sprechen am Ende immer nur über dasselbe, ob es passt oder nicht. Das ist selten interessant und überzeugend. Es gibt Parallelen zwischen Theater und Parlament, über die nachzudenken lohnt. Auch deshalb noch einmal: Dank für „Dantons Tod“ im Haus der Bürgerschaft.

■ Zu nah zur heutigen Zeit inszeniert

Seit elf Jahren sitzt Jens Eckhoff (36) schon für die CDU in der Bremischen Bürgerschaft. Verspürt man da nicht „revolutionäres Feuer“, wenn statt der Abgeordneten mit ihren Monologen das Bremer Theater Dantons Tod im Plenarsaal inszeniert? Das und seine Meinung zum Stück wollten wir vom derzeitigen Fraktionsvorsitzenden wissen. Viele Diskussionen hat es in den letzten Monaten um Politik und Theater gegeben – vom Bundesrat in Berlin bis nach Bremen. Die Guillotine vor der Tür der Bürgerschaft in Bremen setzt gleich neue Maßstäbe in der Diskussion. Zunächst einmal zur Inszenierung in Bremen. Das Stück gefiel mir insgesamt gut. Das Bühnenbild im Festsaal war herausragend, man fühlte sich schnell in die Zeiten der Französischen Revolution zurückversetzt – was insbesondere an den viel zu harten Bänken lag. Der Einfall mit dem Puppentheater war abwechslungsreich und gut geeignet, um den Besucher schnell in das Stück einzuführen. Die Schauspieler wurden vom herausragenden Kay Dietrich als Robespierre geführt und machten vor allen Dingen mit ihren zahlreichen Andeutungen zur heutigen Zeit den Besucher immer wieder nachdenklich. Gratulation an das Bremer Theater und insbesondere an Barbara Bilabel für die Inszenierung, die aus ihrer Sicht in einer neuen Location optimal umgesetzt wurde. Aus der Sicht eines Parlamentariers, der von Anfang an für dieses Experiment war, muss ich leider feststellen, dass sich der Plenarsaal als Event-Location nicht eignet. Zu nah ist die Verbindung mit der heutigen Zeit. Das Mobiliar des Plenarsaals diente auch der Kulisse, bis hin zu umgestürzten Sesseln und einem Gefängnis, farblich Ton in Ton mit dem Parlamentsfußboden. Die Schauspieler setzten mit ihren vorherigen Beiträgen am Pult immer wieder herausragende Schwerpunkte, wurden aber durch die eingespielten Filme ganz bewusst in die heutige Zeit versetzt. So ist die Inszenierung für mich zu nah an der Gegenwart und in dieser Hinsicht missglückt. Ein Theaterstück mit Beiträgen zur Französischen Revolution kann kein Vergleich zur heutigen Arbeit eines Abgeordneten sein. Durch den ständigen Bezug auf die Gegenwart konnte ich mich angesichts der Räumlichkeit der Aufführung einem unguten Gefühl nicht verwehren. Kommt es angesichts dessen doch fast automatisch zu Vergleichen mit der realen Parlamentsarbeit. Auch wenn Politiker zeitweise „Theater“ spielen mögen, so ist mir der Vergleich hier viel zu weit gegangen. Für mich steht fest, dass nach diesem Versuch den Plenarsaal zu öffnen, weitere Experimente genauestens zu überlegen sind. Theater im Plenarsaal eignet sich nicht in jedem Fall und in jeder Form. Deshalb sollten sich viele Bremer dieses Stück anschauen, um mitzureden und zu diskutieren. Der Plenarsaal in einem anderen Licht, vielen wird es gefallen, mir als betroffenem Politiker nicht, aber für Diskussion und Austausch bin ich jederzeit offen. Ein revolutionäres Feuer verspüre ich nicht nach Betrachten dieses Stückes. Jeder Parlamentarier sollte sich ein „Feuer der Revolution im 21. Jahrhundert“ erhalten, damit er zukunftsorientiert arbeiten kann.

■ Trotz Lotterhaftigkeit gelungen

Als Hausherr der Bremischen Bürgerschaft hat sich Christian Weber dafür stark gemacht, dass „Dantons Tod“ am Markt inszeniert wird. Seit fast zwölf Jahren sitzt der studierte Lehrer für die SPD im Parlament, seit 1999 als dessen Präsident. Ob er nach 30 Jahren Parteimitgliedschaft Parallelen zur Bremer Politik entdecken konnte, wollte die taz von ihm wissen Und ob ihm selbstherrlicher Despotismus wie im Stück auch in der Bremer Regierung begegnet?Die Inszenierung von Barbara Bilabel legt die Assoziation nahe, dass sich das Gestern und Heute verbinden. Zum Teil durch das Auftreten eines Kameramannes im Konvent und diese Mischung von historischen Kostümen und moderner Kleidung. Natürlich ist eine direkte Parallele nicht zu ziehen, aber ein Politiker findet schon Stoff zum Nachdenken über das eigene Tun. Büchner führt uns die unterschiedlichsten Typen vor Augen: Den Fundamentalisten und den Pragmatiker, zeigt Richtungskämpfe und das Ende von Karrieren. Wer oben steht, kann tief fallen, und die Konsequenzen falscher Entscheidungen holen die Urheber ein. Aber die Ähnlichkeiten berühren nur die Oberfläche. Büchner zeigt ein Scheitern der Demokratie, das Abgleiten in Diktatur und Gewalt. Das hungernde und kriegsmüde französische Volk lässt sich von Heilsversprechungen verführen und wird zum Opfer. Heute funktioniert unser demokratisches parlamentarisches Sys-tem. Niemand hält sich an der Spitze, der das Vertrauen des Volkes verliert, und Willkür und Terror wie in Büchners Drama haben in unserem Rechtsstaat keinen Platz. Selbstverständlich lässt sich kein Politiker von heute mit diesen historischen Persönlichkeiten identifizieren. (Eventuelle Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig). Trotzdem wäre es verfehlt, sich einfach zurückzulehnen und ausschließlich das Schauspiel und die Kunst der Darsteller zu genießen. Demokratie ist eine Staatsform, die vom Engagement der Bürger und Bürgerinnen lebt, von der Wahrnehmung des Wahlrechts, der Meinungsfreiheit und den vielfältigen Beteiligungs- und Mitwirkungsmöglichkeiten. Je lebendiger die Demokratie, desto eher kann es gelingen, verfassungsfeindlichen Kräften Einhalt zu gebieten. Der von der Regisseurin ergänzte Schluss des Stückes, in dem Vertreter aus Ländern der „Dritten Welt“ garantierte Menschenrechte auch für sich einfordern, soll wohl die Aktualität der Proklamation der Menschenrechtevon 1789 verdeutlichen, erinnert aber stark an den Brecht'schen Brechstangen-Moralismus und wirkt befremdlich aufgesetzt. Trotz Längen und manchmal fokussierter Darstellung lotterhaften Lebens eine gelungene Inszenierung. Ich finde es gut, dass die Bremische Bürgerschaft Gastgeberin für dieses kulturelle Ereignis sein kann.