Distinguierte (Un)Realness

Jazz-Crooner, Rapper und Superbösewicht: Chilly Gonzales kehrt in seiner jüngsten Inkarnation als Präsident – vorerst – des Berliner Undergrounds zurück auf hamburgische Bühnen

von VERENA DAUERER

Gonzales, der Entertainist, besser: Perfektionist, der sich anlässlich seines neuen Albums Presidential Suite in der Berliner Zweigstelle des Klavierhauses Steinway erst am Spinett, danach am Flügel die Ehre eines Privatkonzerts gibt. Zwischendurch hält er die genervten Angestellten in Schach, die ihn bald für einen Vollidioten halten.

An den Tasten ganz elaborierter Handwerker, gibt er im Gespräch die Profi-Action eines Schauspielers. Mit aparter Bescheidenheit bezieht er die Reaktion seines Gegenübers ein und baut auf demonstrative Offenheit. Die Karten des Showgeschäfts liegen auf dem Tisch, sich geheimnisvoll geben wäre auch doof: Merklich lugt neben der Liebenswürdigkeit die Kontrollfreakness durch, alles – inklusive der eigenen Attitüde – in einem festgelegten Koordinatensystem verlaufen zu lassen.

Auf Presidential Suite ist Gonzales Musicaldarsteller. Nach dem HipHop-lastigeren letzten Album findet ein fröhlich wehmütiges Technicolor-Melodram mit Beats statt. Man könnte ihn sich im Frack mit flatterndem Regenschirm über die Bühne schliddernd vorstellen, im Hintergrund ein riesiger Mond oder die pastellfarbene Ausstattung von Mary Poppins. Mit Chansonflair erzählt er Geschichten auf der Zieharmonika: von einer Durchquerung der glitzernden Show-Welt in Sieben-Meilen-Stiefeln, seinen „Political Platform Shoes“. Gonzos Plateauschuh-Metapher: „Von der Politik habe ich mir den Show Business-Anteil geborgt. Wahrscheinlich der größere. Hast Du Stoibers neuen Haarschnitt gesehen? Der Mann wird 2002 groß rauskommen, er hat schließlich Berater.“

Für den selbst deklarierten „Eurosnob from Montreal“ mit klassischer Musikausbildung findet auf der Bühne ein Popularitätskontest statt, und die Taktik ist, seine Schwächen offenherzig als Köder für den Zuschauer auszulegen und kalkuliert kindlich zu rufen: „Hallo! Guckt mal her und winkt zurück!“ Er spielt etwas von sich und manipuliert sich seine Reaktionen zurecht. Diese verzwickte Beziehung wird allerdings zur Co-Abhängigkeit, sagt er, und kann im Bühnenkoller enden.

Ist Gonzales also ein warmherziger Maniac, der sich vom Publikum therapieren lässt? „Ich brauche, dass es mir applaudiert oder reagiert, sonst wende ich mich gegen es. Wie man es mit einem Lover tun würde, der sich nicht so verhält, wie man es will. Dann sagt man vielleicht etwas wirklich Gemeines, um mit dem Verletzen zu provozieren. Oder in einem Sex Game, bei dem man jemanden wie Dreck behandelt, einfach um auszuprobieren, wie weit das gehen kann. So könnte ein Konzert bestenfalls sein: Dass ich jemanden missbrauche – oder mich selbst“, erklärt er. Das Schlimmste wäre, gar nichts zurück zu bekommen und allein im Sandkasten sitzen zu bleiben. Also lockt er mit seinem Aufhänger – „Minderwertigkeitskomplex“ – und lässt ihn auf die Menge los: „Es geht um das Bedürfnis sich gut zu fühlen, indem man etwas in dem Gefühl tut, die Kontrolle zu haben. Auf der Bühne denkt man, man hätte alles im Griff. Aber eigentlich will man den Applaus – und das zeige ich auch.“

Denn Glaubwürdigkeit hat er keine von der Straße gepflückt, er ist ein Rapper mit Bildungsbürgerhintergrund, der mit Großspurigkeit, ob gespielt oder nicht, weiß: „Einige Leute müssen ins Wörterbuch schauen, wenn sie meine Lyrics lesen.“ Seine Idee von Hip Hop findet am Broadway statt und eben nicht im Ghetto. Und wenn doch, dann ist es ein selbst gewähltes Ghetto in Berlin, wo er sich durch eine Sprachbarriere in einer künstlichen Blase vom Rest der europäischen Szene abschottet. Die indes weniger von ihm, so möchten Daft Punk gerade einen Remix von ihm.

Was er den Kids vermitteln kann, ist distinguierte Realness. Oder auch, aufrichtig zu entertainen: „Es ist ein Spiel mit Realitäten und Kontext. Die Leute sind sensibler geworden und durchschauen die Sprache der Illusion besser. Deshalb muss man ihnen klarmachen, dass man sie manipuliert: Schaut mir dabei zu, und wenn ihr denkt, dass ich das gut mache, haben wir eine großartige Zeit zusammen. 2002 wäre es respektlos, einfach nur mit der Gitarre auf die Bühne zu gehen und zu singen.“

Dienstag und Mittwoch, jeweils 21 Uhr, Neues Cinema