„Herr Kohl, wie geht es Ihnen?“

Pearl Harbor, Berliner Blockade und der 11. September: Die Rede des amerikanischen Präsidenten George W. Bush vor dem Deutschen Bundestag

„[…] Ich habe gehört, auch der ehemalige Kanzler Helmut Kohl sei anwesend. […] Wie geht es Ihnen, Sir? Ich war ein wenig nervös, als ich hörte, Sie wären alle im Urlaub (Gelächter). Ich kann mir gut vorstellen, wie mein Kongress reagieren würde, wenn ich ihn aus dem Urlaub holen würde, um sich eine Rede von mir anzuhören (Gelächter). Aber danke, dass Sie gekommen sind. […] Die Geschichte unserer Zeit ist in das Leben Berlins eingeschrieben. In diesem Gebäude wurden Feuer des Hasses entflammt, die dann über die ganze Welt fegten. Alliierte Flugzeuge brachten in 323 Tagen und Nächten der Belagerung Hoffnung und Nahrung in diese Stadt.

Über eine berüchtigte Trennlinie sind Männer und Frauen aus Mietshäusern gesprungen und überwanden Stacheldraht, um in Freiheit zu leben oder um bei dem Versuch zu sterben. Ein amerikanischer Präsident nannte sich hier stolz einen Bürger von Berlin. Ein weiterer Präsident hat die Russen aufgefordert, diese Mauer niederzureißen. Und an einem Abend im November haben die Berliner die Geschichte in ihre eigenen Hände genommen und diese Stadt zusammengeführt.

In einer einzigen Generation haben die Menschen dieser Hauptstadt und dieses Landes zwölf Jahre der faschistischen Diktatur, 50 Jahre der anderen Diktatur durchlebt und behaupteten sich in dieser herausfordernden Dekade der Vereinigung. Deutschland ist daraus als eine verantwortungsvolle, wohlhabende und friedliebende Nation hervorgegangen. Vor einem Jahrzehnt, wie der Herr Bundestagspräsident gesagt hat, hat mein Vater hier von Deutschland und Amerika als Partnern in der Führung gesprochen und das ist eingetreten. Eine neue Ära ist angebrochen – das starke Deutschland, das Sie aufgebaut haben, ist gut für die Welt. Auf beiden Seiten des Atlantiks musste die Generation unserer Väter großen Ereignissen Gestalt geben – und sie bauten das große transatlantische Bündnis der Demokratien. Sie errichteten das erfolgreichste Bündnis der Geschichte. Nach dem Kalten Krieg, in der relativen Ruhe der 90er-Jahre, fragten einige, ob unser transatlantisches Bündnis nach wie vor einen Zweck habe. Die Geschichte hat die Antwort gegeben.

Unsere Generation steht vor neuen und ernsten Bedrohungen der Freiheit, der Sicherheit unserer Menschen und der Zivilisation insgesamt. Wir stehen vor einer aggressiven Kraft, die Tod verherrlicht, auf Unschuldige zielt, Mittel für ihre Zwecke sucht, Mord in großem Maßstab zu verüben. Wir stehen schweren Bedrohungen durch Armut und Tod bringende Krankheiten gegenüber.

Man kann das aber nicht so stehen lassen, man muss sich mit diesen neuen Herausforderungen auseinander setzen, und zwar gemeinsam auseinander setzen. Jene, die gegen die menschliche Freiheit sind, die diese Freiheit angreifen, werden sie auf jedem Kontinent angreifen. Jene, die Raketen in ihren Besitz bekommen wollen, kennen auch die europäische Landkarte. Wie die Bedrohung aus einem anderen Zeitalter kann auch diese Bedrohung nicht verharmlost oder ignoriert werden. Indem wir geduldig, unbeugsam und resolut sind, werden wir den Feinden der Freiheit eine starke Abfuhr erteilen. […] Wir sind die erste Generation seit 100 Jahren, die den nächsten europäischen Krieg nicht erwarten und fürchten muss. Und das ist eine der größten Errungenschaften in der modernen Zeit. Wenn Europa in Einheit zusammenwächst, dann wachsen Europa und Amerika in Sicherheit zusammen. Wenn Sie Ihre Märkte zusammenführen und eine gemeinsame Währung in der Union teilen, dann schaffen Sie die Bedingungen für Sicherheit und eine gemeinsame Zukunft. In all diesen Schritten sehen Amerikaner nicht Rivalen heranwachsen, wir sehen das Ende alter Feindseligkeiten. Wir sehen den Erfolg unseres Verbündeten, und wir applaudieren Ihren Fortschritten.

Die Ausdehnung der Nato wird auch die Sicherheit auf diesem Kontinent vergrößern – insbesondere für die Nationen, die im letzten Jahrhundert wenig Frieden und Sicherheit gehabt haben. Bewusst bewegen wir uns vorsichtig in diese Richtung. Jetzt müssen wir entschieden handeln.

Beim Gipfel in Prag wird sich Amerika für die Mitgliedschaft aller Demokratien Europas in der Nato einsetzen, die sich an der Verantwortung der Nato beteiligen können. […] Russland hat seit 1917 seine größte Chance, ein Mitglied der europäischen Familie zu werden. Die russische Umgestaltung ist noch nicht beendet. Das Ergebnis ist noch nicht sicher festgelegt. Bei all den Herausforderungen bewegt sich aber Russland in Richtung Freiheit.

Eine neue russisch-amerikanische Partnerschaft wird geschmiedet. Russland leistet große Unterstützung bei dem Krieg gegen den globalen Terror. […] Präsident Putin und ich werden morgen in Moskau diese gemeinsamen Interessen erneut bekräftigen. Amerika und Russland werden sich von den letzten Resten der Konfrontation des Kalten Krieges befreien.

Wir sind über einen ABM-Vertrag hinausgegangen, der uns daran hinderte, unser Volk und unsere Freunde zu verteidigen. Einige warnten uns, dies könnte ein Wettrüsten verursachen. […] Die alten Abkommen versuchten, die Feindseligkeit zu regeln und das Gleichgewicht des Schreckens zu erhalten. Die neuen Verträge erkennen an, dass Russland und der Westen nicht länger Feinde sind. Das gesamte transatlantische Bündnis wird eine neue Beziehung zu Russland aufbauen. […] Viele Generationen haben Russland als Feind gesehen. Dieser Schatten wird jetzt beiseite gelegt. Jetzt umarmen wir uns in Freundschaft mit einem demokratischen neuen Russland.

Während wir unser Bündnis ausdehnen und Russland zuwenden, müssen wir über Europa hinausgehen, um aufkommenden Gefahren zu begegnen und bedeutender Verantwortung gerecht zu werden. Während wir das Haus der Freiheit bauen, müssen wir uns den Herausforderungen einer größeren Welt stellen. Und das gemeinsam.

Für die Vereinigten Staaten war der 11. September 2001 ein Tag, der einen tiefen Einschnitt in unserer Geschichte bedeutete – ein Zeitenwandel so klar wie Pearl Harbor oder der erste Tag der Berliner Blockade. Es kann keine dauerhafte Sicherheit geben in einer Welt, die der Gnade der Terroristen ausgeliefert ist – nicht für meine Nation und nicht für irgendeine Nation.

Angesichts dieser Bedrohung ist die Zweckbestimmung der Nato, ihre kollektive Verteidigung, so dringend wie eh und je.

Amerika und Europa brauchen sich gegenseitig, um den Krieg gegen den globalen Terror zu führen und zu gewinnen. Mein Land ist so dankbar für das Mitgefühl des deutschen Volkes und für die starke Unterstützung, die Deutschland und Europa gewährt haben.

[…] Die Terroristen sind durch ihren Hass definiert. Sie hassen Demokratien, Toleranz und die freie Meinungsäußerung. Sie hassen Frauen, sie hassen Juden, sie hassen die Christen, und sie hassen alle Mulime, die sich gegen sie wenden. Andere töteten im Namen rassischer Reinheit oder eines Klassenkampfes.

Diese Feinde töten im Namen einer falschen religiösen Reinheit, und sie verdrehen den Glauben, in dessen Namen sie vorgeben zu sprechen. In diesem Krieg verteidigen wir nicht nur Amerika und Europa, wir verteidigen die Zivilisation selbst […]

Das Übel, das sich gegen uns formiert hat, ist „die neue totalitäre Bedrohung“ genannt worden. Die Verantwortlichen für den Terror versuchen, Atom-, Chemie- und Biowaffen in ihre Hände zu bekommen. Regime, die Terroristen unterstützen, entwickeln diese Waffen und die Trägerraketen.

Könnten diese Regime und ihre terroristischen Verbündeten diese Fähigkeiten perfektionieren, würde sie keine innere Stimme der Vernunft und keine Gewissensbisse am Einsatz dieser Waffen hindern.

Wunschdenken könnte Trost bringen, aber keine Sicherheit. Nennen Sie es eine strategische Herausforderung oder nennen Sie es die Achse des Bösen. Aber lassen Sie uns die Wahrheit beim Namen nennen. Wenn wir diese Bedrohung ignorieren, dann laden wir ein zur Erpressung, und Millionen unserer Bürger geraten in große Gefahr.

Unsere Reaktion wird ausgewogen, klar, zielgerichtet sein. Wir werden mehr einsetzen als unsere militärische Macht. Wir werden terroristische Finanzströme abschneiden, diplomatischen Druck ausüben und unsere Erkenntnisse austauschen. Amerika wird sich in jeder Phase eng mit seinen Freunden und Verbündeten beraten. Und eins ist klar, wir werden und wir müssen uns gegen diese Verschwörung gegen unsere Freiheit und unser Leben stellen.

Angesichts dieser neuen Bedrohungen braucht die Nato eine neue Strategie und neue Fähigkeiten. Gefahren, die weit entfernt von Europa entstehen, können nun Europas Herz treffen. Deswegen muss die Nato in der Lage und willens sein zu handeln, wann immer Bedrohungen auftauchen. Das erfordert alle Mittel der modernen Verteidigung.

[…] Wir wissen nicht, wo die nächste Bedrohung herkommt. Und wir werden auch nicht wissen, in welcher Form sie gegen uns auftritt. Aber wir müssen bereit sein als militärische Partner, uns gegen diese Bedrohung unserer gemeinsamen Sicherheit zu wenden.

Eine Möglichkeit, mehr Sicherheit zu schaffen, ist die Hinwendung zu Regionalkonflikten, die Gewalt schüren. Unsere Arbeit auf dem Balkan und in Afghanistan zeigt, was wir erreichen können, wenn wir zusammenhalten.

Wir müssen weiterhin für Frieden im Nahen Osten eintreten. Der Frieden muss die dauerhafte Sicherheit des jüdischen Volkes gewährleisten. Und der Frieden muss dem palästinensischen Volk einen eigenen Staat schaffen.

Bei all dem Terrorismus im Nahen Osten erscheint die Hoffnung für eine dauerhafte Lösung fern. So haben viele einst auch die Aussichten auf Frieden zwischen Polen und Deutschland, Deutschland und Frankreich, Frankreich und England, Protestanten und Katholiken gesehen. Doch nachdem Generationen immer wieder Gewalt ausübten und erniedrigten, sehen wir, dass diese ehemaligen Gegner sich zu Freunden in Europa gewandelt haben. […] Mitglieder des Bundestages, wir sind vereint hinter einem ernsthaften Ziel, auf dem die Sicherheit unserer Völker und das Schicksal unserer Freiheit nun beruhen. Wir bauen eine Welt der Gerechtigkeit oder wir leben in einer Welt des Zwangs. Die Größe unserer gemeinsamen Verantwortlichkeiten lässt unsere Unterschiede sehr, sehr klein aussehen. Und diejenigen, die unsere Differenzen übertreiben, spielen ein sehr böses Spiel und haben nur eine sehr vereinfachte Sicht unseres Verhältnisses. In dieser Kammer, in dieser Stadt, in dieser Nation und auf dem ganzen Kontinent hat Amerika wertvolle Freunde (Applaus). Und mit diesen Freunden werden wir das Haus der Freiheit bauen – für unsere Zeit und für alle Zeiten. Gott schütze Sie (Applaus).“ DPA, TAZ