Materialisierte Träume

Vom Heeresmenü zum Märchenschloss-Bankett: Ostseekunst-Biennale Artgenda stellt mit verschiedenen „EAT!“-Projekten weitere Facetten künstlerischen Umgangs mit Nahrungsmitteln vor

von PETRA SCHELLEN

Dass Essen, umgedeutet und umgesetzt in Kunst-Zusammenhänge, die Gemüter erhitzt, hat die Auseinandersetzung der vergangenen Woche gezeigt. Und obwohl die Verwendung verzehrtauglicher Ingredienzien in Performances kein Novum ist, wird anhand der Diskussion über Projekte der Ostseekunst-Biennale Artgenda deutlich, wie verschieden die Wahrnehmung ist, je nachdem, ob es sich um ein als ästhetisch definiertes Event handelt oder nicht: Es ist sicher, dass die „EAT!“-Projekte der Artgenda keine der „Riesenbratling“ -Aktion vergleichbare Protestwelle hervorrufen werden, obwohl sie auch mit Essen agieren.

Das liegt nicht nur daran, dass man die Lebensmittel diesmal wird verzehren können. Sondern daran, dass die KünstlerInnen das Publikum diesmal mit gängiger Ästhetik und „nützlichen“ Informationen bedienen. Sie werden die ZuschauerInnen mitspielen, eventuell sogar in Erinnerungen schwelgen lassen. Und sentimental wird man ja immer mal gern.

Am zuckerguss-artigsten wird beim – von Judith Wilske und Maren Simoneit betreuten – Projekt „EAT! Artgenda bittet zu Tisch“ wohl der Aufenthalt auf einem schwimmenden Märchenschloss werden. Peter Callesen aus Kopenhagen wird auf einem Ponton ein Schloss bauen und zum Abschluss zum Fairytale Banquet laden. Geplant ist ein Mahl im Stil französischer Hoftradition des 17. Jahrhunderts, zu dem Fischtorte und Schokoladenbraten serviert werden. „In Märchen aller Länder nimmt das Essen einen prominenten Platz ein“, sagt die künstlerische „Patin“ Judith Wilske. Zum Beispiel im Märchen von der Axtsuppe, das auch dem Beflissensten kaum geläufig sein dürfte.

Wichtig an dem Projekt ist aber vor allem die quasi-karnevaleske Grenz- und Realitätsüberschreitung, die es den mitspeisenden ZuschauerInnen erlaubt, sich „für ein paar Stunden in eine Welt zu integrieren, von der sie sonst ausgeschlossen sind“, sagt Simoneit. „Oder waren Sie schon mal auf einem Hofbankett eingeladen?“ Kaum, und schon gar nicht im pittoresken Märchen-Ambiente.

Handfest informativ soll es dagegen im Combat Kitchen Camp auf dem Heiligengeistfeld zugehen, das der Däne John Eggesboe, einst selbst Armeekoch, betreut: Die Zusammensetzung von Soldatenmahlzeiten wird er den Zuschauern erklären und später entsprechend Zubereitetes anbieten. Eine Anti-Kriegs-Aktion? „So eindimensional kritisch sind wir nicht“, sagt Judith Wilske. Genauso wenig wie die Wuuul-KünstlerInnen mit dem „Bratling“-Projekt will sie sich festlegen lassen auf eine konkrete Intention. Judith Wilske versteht Kunst „eher als Angebot, sich mit einer Welt zu befassen, über die man bislang wenig wusste“. Weiblicherseits jedenfalls. „Und die Männer, die kommen, werden sich vielleicht an ihre eigene Wehrdienst- oder Soldatenzeit erinnern.“ Ein Ansatz, der den KünstlerInnen den Vorwurf allzu unpolitischer Naivität eintragen könnte.

Doch Judith Wilske stellt die Aktion in einen größeren Kontext: „Essen war schon immer Thema in der Kunst. Essen ist für Menschen ein soziales Ereignis. In Gemeinschaft isst sich‘s gemütlicher, und natürlich definieren sich Gruppen auch über ihre Essgewohnheiten.“ Essritus als Label.

Aus der umgekehrten Blickrichtung – dem Wunsch, der sich zunächst aufs Label richtet– wird sich die Schwedin Kristina Matousch nähern: Einen in Originalgröße nachgebauten Kiosk wird sie vom 7. Juni an vor den Deichtorhallen aufstellen. Eine Erinnerung an Kindertage, in denen man mit ein paar Groschen zum Paradies der Süßigkeiten trottete. „Die Wünsche, die man damals im Kopf hatte – das Etikett der Brause etwa – will die Künstlerin aus der Black Box des Kiosks herausholen und nach außen projizieren“, sagt Simoneit.

Die Regale sind deshalb außen an dem hölzernen Kiosk angebracht und werden mit nachgebauten Süßigkeiten-Hüllen vollgestellt. Simoneit: „Der Kiosk soll sein Geheimnis sofort preisgeben, statt es im Inneren zu verstecken.“ Eine Materialisierung vergangener Kindheits-Konsumträume, die kaum Schmerzen macht. Denn – eine Entzauberung ist dieser bunte Baukasten nicht. Eher bastelt er einen neuen Traum.

Combat Kitchen Camp: 17.+18. Juni, 20 Uhr, Heiligengeistfeld (Zelt nahe Bunker an der Feldstraße). – Fairytale Banquet: 19.+20. Juni, 20 Uhr, Schiffsanleger Messberg, südlich der Deichtorhallen. – Kartenvorbestellung beim Artgenda-Infocenter unter Tel. 040 - 28 40 96-80 oder -81. Gesamtprogramm unter www.artgenda.com