Freiheit geht vor

Nach dem EuGH-Urteil zu nationalen Vetorechten steht auch das deutsche Übernahmegesetz auf der Kippe

BRÜSSEL taz ■ Noch vor der Sommerpause wird die EU-Kommission einen neuen Entwurf für eine Übernahmerichtlinie vorlegen. Das bestätigte ein Sprecher von EU-Binnenmarkt-Kommissar Frits Bolkestein gestern. Am Tag zuvor hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg Bolkesteins Linie gestützt, den freien Kapitalverkehr höher zu werten als nationale Schutzinteressen.

Die Kommission hatte Frankreich, Portugal und Belgien vor dem EuGH verklagt, weil sie dem Staat in bestimmten Fällen Sonderrechte bei privatisierten Unternehmen einräumen. Lediglich Belgien kann sein staatliches Vetorecht behalten – es beschränkt sich auf mehrheitlich staatliche Energieunternehmen. Es sei ein legitimes Bedürfnis eines Staates, in diesem Bereich nicht von ausländischen Erzeugern abhängig zu werden, urteilte das Gericht. Allerdings sei Frankreich übers Ziel hinausgeschossen, als es Elf Aquitaine (jetzt TotalFinaElf) mit staatlichen Sonderstimmrechten, der so genannten Goldenen Aktie, vor ausländischen Käufern geschützt habe. Frankreich muss den Erlass von 1993 nun ändern. Dass auch die portugiesische Regelung keine Gnade fand, kam nicht überraschend. Denn hier behält sich der Staat bei ausländischen Bietern das letzte Wort vor, wenn er seine „finanziellen Interessen“ bedroht sieht.

In ihrer Begründung folgten die elf Richter im Wesentlichen einer Mitteilung der Kommission vom Juni letzten Jahres. Darin formulierte diese ihre Auffassung von den Bedingungen, nach denen der Staat als Mehrheitsaktionär den freien Kapitalverkehr einschränken kann: Er muss klar umrissene, im Voraus festgelegte wirtschaftspolitische Ziele verfolgen und darf keine Käufergruppe benachteiligen. Die Einschränkungen dürfen nur befristet gelten und müssen eindeutig interpretierbar sein. Hat der Staat die Aktienmehrheit aufgegeben, kann er nur noch im Ausnahmefall Einfluss nehmen: wenn es etwa um Gesundheit, Verteidigung oder öffentliche Ordnung geht oder wenn die Eingriffe durch ein anderes „vorrangiges öffentliches Interesse“ gerechtfertigt sind.

In Brüssel geht man davon aus, dass nun sowohl das VW-Gesetz als auch die deutsche Übernahmerichtlinie nachgebessert werden müssen. Kommissar Bolkestein hat bereits angekündigt, Konsequenzen zu prüfen.

DANIELA WEINGÄRTNER