Burgturm am Markt?

Neues aus der Unterwelt: Die Archäologen glauben, den Tor-Turm der alten Domburg gefunden zu haben. Als Souvenir gibt es bald „historische“ Uhren mit mittelalterlichem Straßendreck

Wer wühlt, der findet. Erst recht auf dem Bremer Marktplatz. Neueste Entdeckung der Archäologen: Das Fundament eines Turmes, der den Schilderungen des zeitgenössischen Geschichtsschreibers Adams von Bremen zufolge vor rund 1.000 Jahren das Tor in der Mauer um die so genannte Domburg bewachte.

Mit zyklopisch anmutenden Findlingen hatten die ersten Bischöfe damals einen Schutzwall um ihre Behausung auf der Bremer Düne errichtet – vor allem gegen die heidnischen und dem neuen Glaubensherren nicht immer wohlgesonnenen Sachsen. „Das waren auch nach 200 Jahren Christianisierungsversuchen immer noch unsichere Kandidaten“, sagt Landesarchäologe Manfred Rech.

Kulturelles Erbe kontra Weihnachtsmarkt

Überreste der ovalen Schutzmauer, die schon nach dreißig Jahren zum Teil wieder abgerissen wurde, waren bereits beim Bau der Rathauserweiterung Anfang des letzten Jahrhunderts entdeckt worden. Nicht jedoch der Turm. Den glaubt Rech jetzt gefunden zu haben. Er weist auf das Mauerstück aus naturbelassenen Steinbrocken, das seine Mitarbeiter etwa drei Meter unterhalb des heutigen Straßenniveaus freigelegt haben: „Das ist genau die gleiche Machart wie wir sie von der Mauer kennen.“

Hundertprozentig sicher sind sich die Archäologen dabei aber noch nicht. Rech gibt zu, dass es sich bei dem Mauerstück auch um einen Vorratskeller eines der so genannten „Geschlechtertürme“ handeln könnte – mehrstöckige Häuser aus Findlingssteinen, die sich der im 12. Jahrhundert in die Stadt strömende niedere Adel baute. Letzte Zweifel soll jetzt eine radiologische Altersbestimmung von in gleicher Tiefe gefundenen Kohlestückchen bringen.

Die mittelalterlichen Bremer nutzten die alten Findlingsmauern im Boden als Stützen für ihre eigenen Häuser. Unzählige kunstvoll verzierte Sandsteinstücke und Backsteinwände konnten die Archäologen als Überreste des Baleer’schen Hauses identifizieren, das bis Mitte des 19. Jahrhunderts an der Ostecke des Marktplatzes stand – an der Stelle, wo heute die Bremer PolitikerInnen in der Bürgerschaft tagen.

Eine Woche lang haben Schaulustige noch die Gelegenheit, vom Zaun aus selbst einen Blick in die Geschichtsgrube im Stadtzentrum zu werfen. Dann wird das Loch wieder mit Sand gefüllt. Rech tröstet sich: „Unter dem Sand bleibt ja alles erhalten.“

Vom niederen Adel zu Bremens Politikern

Am liebsten wäre es dem Archäologen ja, wenn eine Glasplatte im Boden oder eine gläserne Pyramide auch in Zukunft interessierte Blicke auf das mittelalterliche Pflaster im Untergrund gestatten würde. Kultursenator Kuno Böse (CDU), der gestern die Grabungsstelle besichtigte, machte Rech da aber keine großen Hoffnungen. Eine Glasplatte verkratze zu schnell. Und gegen eine Pyramide habe nicht nur der Landesdenkmalpfleger Einspruch erhoben. Böse: „Denken Sie mal an den Weihnachtsmarkt.“ Rech konnte sich da eine kleine Spitze nicht verkneifen: „Es ist eben die Frage, was man als höherwertig einstuft: das kulturelle Erbe oder den Weihnachtsmarkt in seiner vollen Größe.“

Geschichtsloch hin oder her – Bremens Unterwelt lässt sich aber jetzt schon gut vermarkten. Nachdem die Archäologen bereits hunderte von mittelalterlichen Pflastersteinen als Souvenir verkauft haben, bringt eine Firma aus Klein Rönnau Ende des Monats Armbanduhren mit historischem Marktplatzpflaster auf den Markt – Echtheitszertifikat von Rech inklusive. Zehn Euro vom Verkaufspreis kommen dafür dem Etat der Bremer Archäologen zugute. Statt den schwärzlichen Kieseln, über die im 14. Jahrhundert die Ochsenkarren schepperten, ziert die Zifferblätter jedoch eine 1,2 Millimeter dicke und 23 Milligramm schwere Scheibe rötlichen Backsteins – Bauabfälle, mit denen damals Löcher im Pflaster ausgebessert wurden. Rech entschuldigt: „Diesen Stein sieht man besser.“ hoi