Mitten im Abenteuer

Homer auf dem Bahnsteig: Behinderte und nicht behinderte Laienschauspieler auf „Odyssee ins Glück“ im Thalia in der Gaußstrasse

Von Sommerloch kann im Theater (noch) keine Rede sein. Und was gibt es Schöneres, als bei Hitze im angenehm kühlen, dunklen Theatersaal zu sitzen und sich überraschen zu lassen. Denn wie bereits in den vergangenen Jahren überlässt das Thalia Theater seine Bühnen gegen Ende der Spielzeit gern mal den Theatergruppen mit Amateuren. Der „Thalia Treffpunkt“ zeigt in diesen Wochen gleich drei Werke, von denen zwei in Kooperation mit der Initiative „Leben mit Behinderung Hamburg“ entstanden sind. Nachgefolgt von Swingverdächtig (Leitung: Corinna Honold) und Nachtgestalten (Leitung: Simone Bauer) macht die Odyssee ins Glück den Anfang.

Die Gruppe unter der Leitung von Theaterpädagoge Herbert Enge (seit 16 Jahren am Thalia Theater und Gründer des seit 9 Jahren bestehenden „Thalia Treffpunkt“) vereint 27 behinderte und nicht behinderte Mädchen und Jungen, Frauen und Männer aus allen Teilen Hamburgs. Viele kommen allein in den Probenraum in der Blinden- und Sehbehindertenschule am Borgweg, andere haben ihre Betreuer dabei, von denen manche auch selbst mitspielen. Die Aktricen und Akteure sind vorwiegend hell gekleidet, so manche fantasievolle Kopfbedeckung kündet von der Grösse der jeweiligen Rolle – um die passende Garderobe, aber auch um Licht und Ton kümmert sich Thalia-Hospitant Jan Wintjen.

In Anlehnung an Homers Odyssee schafft es die Gruppe, unter der behutsamen Regie von Enge und mit Hilfe assistierender MitspielerInnen, eine anrührende Geschichte, mal märchenhaft, mal verschreckend darzustellen. Die Darsteller, die sich in der familiären Probenatmosphäre sichtlich wohlfühlen, beeindrucken durch ihre Körperintensität und die daraus resultierende kraftvolle Darstellung. Und durch ihren Humor, wenn sie sich beispielsweise umeinander scharen, um selbst ausgesuchtes, krudes Schlagerzeugs mit stark hamburgisch gefärbtem Dialekt zu singen, aber eben auch durch ihren Sinn für Traurigkeit. Ganz so wie im richtigen Leben, möchte man meinen.

Oder getreu der Story von Odyssee ins Glück: Das Mädchen Aurora hat den letzten Zug verpasst und kommt nicht nach Hause. Plötzlich vernimmt sie auf dem Bahnsteig Homers Stimme, der von Odysseus und den alten Griechen erzählt. Und von den Göttern, die die Seeleute nicht mehr zurück in ihre Heimat ließen. Und schon ist Aurora mitten im Abenteuer, welches zwar in grauer Vorzeit stattfand, doch plötzlich ganz gegenwärtig von ihr Besitz ergreift, als sie sich neben der Mannschaft auf einem Schiff wiederfindet, durch den Hamburger Hafen segelt und schließlich auf der Insel der Lotosesser landet. Aurora sieht, wie Odysseus von Kalypso gefangen gehalten wird, tut sich mit Athene zusammen, um Odysseus in einen Bettler zu verzaubern. Und sie ist dabei, als der mächtige Meeresgott Poseidon Odysseus in die Einsamkeit stürzt. Aber dann ...

Herbert Enge, der sich zusammen mit seinen Thalia-Kolleginnen Corinna Honold und Petra Urbanski auch um den dortigen Bereich „Theater für Schüler und Lehrer“ kümmert, schafft es, den Beteiligten durch seine ruhige, zurückhaltende Art Großes zu entlocken. Was denkt jemand wie er denn eigentlich über Christoph Schlingensief? Der Meister der eher lauten Töne sorgt gerade mit seiner Freakstars 3000-TV-Sendung für Gesprächsstoff: Darin soll eine Pop-Klon-Band à la No Angels mit Behinderten gegründet werden und sogar eine Platte herausbringen. „Einer aus dem Ensemble war damals bei Schlingensiefs ,Chance 2000‘ Aktion dabei. Das hat ihm gut gefallen. Ich glaube nicht, dass Schlingensief die Behinderten nur vorführen will.“ Und das will auch Enge selbst nicht, mit Projekten wie der Odyssee ins Glück.

Barbara Schulz

Odyssee ins Glücks: 25. + 26. Juni (evtl. wieder ab Oktober); Swingverdächtig: 28. + 29. Juni; Nachtgestalten: 1. + 2. Juli, jeweils 20 Uhr, Thalia Gaußstraße