Der schöne Name des Todes

Was passiert, wenn die Niederlage zu riskanten Überlebensstrategien zwingt, wenn Erpressung die individuelle Moral herausfordert: Das Mexiko der 70er-Jahre in „Francisca“ von Eva López-Sánchez

von CLAUDIA LENSSEN

Bilder von unübersehbar großen Menschenmengen, Transparente mit dem Ruf nach Freiheit, die Ballade einer heiseren Männerstimme – Eva López-Sánchez' Film beginnt mit Wochenschauaufnahmen vom studentischen Protest in Mexiko-Stadt im Umfeld der Olympischen Spiele 1968, als knüpfe sie an kubanische Politfilme an. Aber dann wird der damalige Aufstand nicht zur pathetischen Revolutionseloge. Ihre Geschichte fragt, was passiert, wenn die Niederlage zu Überlebensstrategien zwingt, wenn Erpressung die individuelle Moral herausfordert.

Über Fotos vom Polizeiaufmarsch, über den zornigen Rap auf das Massaker im historischen Stadtzentrum Tlatelolco legt sie den Vorspann in Schreibmaschinenschrift und Stempeln. Ihr Film setzt 1971 ein, als längst Dossiers von den Aktivisten angelegt und Spitzel eingeschleust waren. Mexikos Präsident versprach damals den Dialog mit den Aufständischen und behauptete, die Polizei gehe mit legalen Mitteln vor. Die Regisseurin widerspricht, indem sie zeigt, wie Studenten beim Flugblattverteilen verfolgt und zusammengeschlagen werden, wie der Kopf der Gruppe gezielt verfolgt und ermordet wird. „Francisca“ ist weder eine charismatische Heldin noch ein Codewort politischer Inhalte, sondern der eingravierte Name der Pistole, die für den Tod des Aktivisten vorgesehen ist.

Die Farben sind düster, die Schauplätze provisorisch und eng. Adela (Fabiola Campomanes), ihre Freundin Lucia (Arcelia Ramirez), deren auf die Todesliste gesetzter Mann Serna (Julio Bracho) und weitere Freunde agieren als kleine Clique, als isolierte Zelle. Sie nudeln Flugblätter durch den Abzugsapparat, drücken sie in Blitzaktionen Arbeitern in die Hände, pinseln „Freiheit für die politischen Gefangenen“ an die Mauern, brechen in paranoide Angst vor Spitzeln aus. Ihnen haftet die armselige Aura harmloser, vom staatlichen Machtapparat für gefährlich erklärter Idealisten an.

Diese Perspektive ist die Stärke und Schwäche des Films. Politische Ziele – gegen die Ausbeutung der Arbeiter und für die Rechte landloser Indios – verschwinden bei Eva López-Sánchez in der hilflosen Inszenierung eines Räuber-und-Gendarm-Spiels, wenn sie zum Beispiel Landarbeiter auf der Flucht vor den Schergen des Großgrundbesitzers wie bloße Schemen vorüberhuschen lässt. Der klassische Solidaritätsdiskurs der linken Intellektuellen ist bei ihr Karikatur, die Utopien sind zu unreflektierter Betriebsamkeit geronnen. Was stattdessen in den Mittelpunkt rückt, ist die Geschichte abgespaltener Gefühle, zerstörter Lebensläufe, unerbittlicher Rache, ein böser Kommentar auf die Exilgeschichten europäischer Sozialisten in Mexiko.

Helmuth Busch (Ulrich Noethen) ist unter dem angenommenen Namen Bruno Müller ein leiser Held, ein existenzialistischer Moralist und scheiternder Liebender. Sein Auftritt scheint der Moment einer Befreiung, führt jedoch ins Verhängnis. Der Mann entrinnt seiner prototypischen sozialistischen Biografie nicht – erst recht nicht zwischen den Lagern im reaktionären Mexiko. Mit falschen französischen Papieren ausgestattet ist er aus der DDR geflohen, um dem Druck der Stasi zu entgehen. Jetzt presst ihn die mexikanische Geheimpolizei an die Universität und zwingt ihm erneut Spitzeldienste ab. Je tiefer seine Gefühle für Adela werden, desto mehr erfährt er über deren Gruppe und desto hoffnungsloser versucht er, dem Auftrag der Polizei zu entkommen. Das Treffen, bei dem er Serna warnen will, ist eine Falle – und er wird unschuldig schuldig an dessen Tod.

Sichernde Blicke bei jedem Schritt, zögernde Gesten beim Einwerfen der Spitzelbriefe, unsichere Erklärungsversuche vor Adela – Noethen spielt den Geschichtsprofessor Müller unprätentiös als einen Einsamen, der gegen seine Feigheit ankämpft. Adela entdeckt er seine Identität, die Geschichte eines Kindes, dessen Eltern im Spanischen Bürgerkrieg kämpften, das in Moskau aufwuchs und in der DDR aus Loyalität zur Partei als Spitzel funktionalisiert wurde. Jetzt stehen Liebe und Vertrauen gegen den Verdacht des Verrats.

Das Paar flieht – leider in eine unschlüssige Dramaturgie. Die Regisseurin verliert sich in Männerporträts, unterschiedlich zuverlässige Typen alter Genossen. Die Zeit scheint zum Stillstand zu kommen, die Flucht mit korrupten Helfern Richtung USA gelingt nicht. Müllers Job bei einem feudalen Landmann lähmt seine Moral, Adela unterrichtet Indios – frustriert von deren Passivität. Da taucht wie ein bösartiger Deus ex Machina die Waffe auf, die Müllers Verrat zu bezeugen scheint. Sernas Sohn – die unerbittliche Folgegeneration des revolutionären Debakels – weiß sie für seine Rache zu nutzen.

„Francisca“. Regie: Eva López-Sánchez. Mit Fabiola Campomanes, Ulrich Noethen, Arcelia Ramírez u. a., Mexiko 2002, 88 Min.