DIE LEITUNG DER STETTINER WERFT HAT ZU STARK EXPANDIERT
: Griff in die falschen Kassen

Noch vor kurzem konnte man in Mecklenburg-Vorpommern die sarkastische Empfehlung hören: Arbeitslos? Bewirb dich doch bei der Stettiner Werft!

Tatsächlich hatten es die polnischen Schiffbauer geschafft, ihr Werk über die Pleitewelle der frühen 90er-Jahre zu retten, als der sowjetische Absatzmarkt für schwerindustrielle Güter wegbrach. Der Staat privatisierte die Werft und überführte sie in eine Holding; das Management sicherte sich maßgeblichen Einfluss. Mit der Spezialisierung auf technisch anspruchsvolle Konstruktionen wuchs die Konkurrenzfähigkeit, füllten sich die Auftragsbücher. Für die gesamte Woiwodschaft Westpommern wurde der Werftkonzern zum Zugpferd der wirtschaftlichen Entwicklung. Dann, zu Beginn dieses Jahres, die Krise. Gestern folgte der Konkursantrag. Gelingt die Rettung diesmal nicht, werden über 1.000 Subunternehmen und Lieferanten von der Pleite erfasst.

Nicht die Auftragslage, nicht mangelnde Anpassung an die – vor allem deutsche – Nachfrage, nicht die Billigkonkurrenz aus Südkorea verursachten die Katastrophe, sondern die abenteuerlichen Finanzierungsmethoden. Das Management und die Banken gingen auf ökonomischen Expansionskurs. Die Trägergesellschaft, die Porta Holding AG, investierte im Vertrauen auf gesicherte Aufträge mehr als 250 Millionen Euro in die Werft, in einen neuen Seeterminal und eine große Zinkfabrik. Als aber in der laufenden Schiffsproduktion Mehrkosten entstanden, bediente man sich der Kredite, die für weitere Aufträge zugesichert waren. Wie zu erwarten war, ist dieses bei betrügerischen Spekulationen wohlbekannte Revolving-Verfahren nun zusammengebrochen.

Jetzt streiten die Anhänger des Laisser-faire mit den Staatsinterventionisten. Die einen wollen der Stettiner Werft kaltblütig das Schicksal der untergegangenen Danziger Lenin-Werft angedeihen lassen, die anderen verweisen darauf, dass ein Aus für die Stettiner Werft verheerende – auch psychologische – Folgen für Investitionen und regionales Wachstum zeitigen könnte. Im Vergleich zur westlichen Werftindustrie, die bis heute eine Menge indirekter staatlicher Beihilfen in Anspruch nimmt, hat sich der polnische Staat in brutalstmöglicher Form auch aus der Subventionierung des Schiffbaus zurückgezogen. Zuschüsse aus Warschau aber scheiden wegen des nahenden EU-Beitritts und wegen des Sparzwangs in Polen aus.

Polnische Banken sind für den nötigen großen Liquiditätskredit zu schwach. Bleiben die westlichen Geldhäuser. Glücklicherweise ist der polnische Nationalismus in Bezug auf die christliche Seefahrt schwach entwickelt. CHRISTIAN SEMLER