Spitzeln im Interesse der Nation

Ungarns Premier Péter Medgyessy gibt zu, unter den Kommunisten in der Gegenspionage tätig gewesen zu sein

BUDAPEST taz ■ Wladimir Putin hat seine KGB-Vergangenheit nicht geschadet, Ungarns Premier könnte aber seinen Job nach nur einigen Wochen Amtszeit verlieren. Am Dienstag meldete die oppositionsnahe Tageszeitung Magyar Nemzet, Péter Medgyessy sei unter den Kommunisten ein Agent und Offizier des Innenministeriums gewesen. Am selben Tag bestritt Medgyessy alle Vorwürfe, beide Koalitionsparteien kamen jedoch zu einer Krisensitzung zusammen. Die Sozialisten stellten sich hinter ihren Premier, die kleine Fraktion der Liberalen votierte aber mit 17 zu 3 Stimmen für einen Misstrauensantrag.

Gestern legte der parteilose Banker ein Geständnis im Parlament ab. Er sei von 1977 bis 1982 Offizier der Gegenspionage im Dienst der Ungarischen Nationalbank gewesen und sollte den Beitritt des Landes zum Internationalen Währungsfonds vor feindlichen Spionen absichern.

Magyar Nemzet hat aber weit mehr behauptet, als Medgyessy zugibt. Der Bankier sei dem Innenministerium mit 19 Jahren beigetreten und Oberleutnant gewesen. Gestern legte das Blatt nach. Magyar Nemzet veröffentlichte ein Dokument, wonach Medgyessy einen Bericht abgegeben hat, in dem alle Mitarbeiter der Nationalbank aufgelistet seien, die im Falle eines Aufstandes die Regimegegner unterstützt hätten. Medgyessy hat gegen die Zeitung geklagt.

Der Skandal schien gestern schnell zu verpuffen. Exregierungschef Viktor Orbán hat seinen Sturz noch nicht verarbeitet und spricht von einer „glorreichen Niederlage“. Als Ziel nach den Wahlen nannte er den Erhalt von konservativen Medien und empfahl seinen Anhängern, Magyar Nemzet zu abonnieren.

Die Attacke gegen Medgyessy kommt also nicht überraschend. Im Herbst stehen Kommunalwahlen an. Die sozialdemokratische Regierung hat schon viel erreicht: Beamte, Lehrer, Ärzte und Krankenschwestern erhalten ab September eine Lohnerhöhung von 50 Prozent, der Mindestlohn wird steuerfrei. Deshalb behauptet Medgyessy, die Konservativen wollten mit dem Skandal die Erfolge der Regierung schmälern.

Sollten keine neuen Details über die Vergangenheit Medgyessys aufkommen, wird er wohl sein Amt behalten. Den Koalitionsbruch können die Liberalen sich nicht erlauben, sie würden als Erste aus dem Parlament fliegen. GERGELY MÁRTON