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: Ab nach Süden: Anthologien für Badefreudige und Strandhasser

Als Walter Benjamin in der Sonne briet

Die Reise nach Süden haben wir gebucht, die Koffer werden gepackt. Fehlt noch die passende Lektüre. Einschlägige Anthologien gibt’s wie Sand am Strand, und jedes Jahr werden es mehr. Überflüssig sind sie fast alle – aber unsere Reisen sind ja auch keine zwingenden Unentbehrlichkeiten.

Dass Mallorca nicht nur den Ballermann bietet, sondern auch schon mal George Sand und ihrem Geliebten Chopin als Winterquartier diente, wussten wir schon. Die Reisegeschichten, die unter dem Schlachtruftitel „Mallorca, Mallorca“ versammelt sind, befassen sich zwar auch mit den „Schönen und Reichen von Port d’Andratx“, gewinnen jedoch der Insel erfreulicherweise auch einige unbekanntere Facetten ab, darunter Storys von Italo Calvino, Robert Graves und Ernest Hemingway.

Literarische Reiselesebücher zu Griechenland und Italien hat Stefan Janson herausgegeben. Der „Italien“-Band ist in eine überzeugende, inhaltliche Struktur gegliedert, indem er seine sehr unterschiedlichen Texte über Landesgeschichte und Politik, Kunst, Orte und Landschaften, Lebensgefühl und Alltagskultur jeweils bündelt. Demgegenüber sind die Texte des „Griechenland“-Bands chronologisch geordnet und reichen von der Apostelgeschichte über Henry Miller bis zu Sten Nadolny, mit Schwerpunkt auf dem 20. Jahrhundert. Einer der schönsten Texte des Bandes, Walter Benjamins Denkbild „In der Sonne“, ist hier freilich völlig fehl am Platze, da er weder in Griechenland entstand noch griechische Impressionen verarbeitet, sondern sich Benjamins Ibiza-Aufenthalt verdankt. Was sich der Herausgeber, immerhin Literaturwissenschaftler, dabei gedacht hat, bleibt sein Geheimnis. Vielleicht darf man das auch gar nicht so eng sehen; schließlich scheint die gleiche Sonne über Griechenland wie Ibiza.

Die von Simone Frieling edierte Textsammlung „Die Sonne“ lässt sich Benjamins Sonnen-Prosa natürlich auch nicht entgehen, besteht allerdings im Wesentlichen aus diversen Gedichten lyrisch gestimmter Sonnenhungriger von Echnaton bis Rolf Dieter Brinkmann.

In Antonio Tabucchis Roman „Piazza d’Italia“, der 100 Jahre italienischer Geschichte in Form einer Dorfchronik erzählt, gibt es einen jungen Mann namens Melchior, dem sein Großvater einen Badeurlaub spendiert. Melchior verbringt aber die meiste Zeit in der Pension und in einer Bar und kommt so bleich wieder nach Hause, wie er bei seiner Abreise war. Denn Melchior „haßte den Strand, an den er sich jeden Morgen im Schutz seines Strohhuts begab, um dort müßige Stunden zu verbringen, aufs Meer hinauszustarren und den Sand mit seinem Spazierstock zu traktieren“.

Damit gehört Melchior zum Typus des passionierten Reisemuffels, dem die Anthologie „Warum in die Ferne?“ gewidmet ist. Es gibt viele gute Gründe, daheim zu bleiben, etwa Arno Schmidts charmante Ignoranz, er brauche nicht nach New York, da er Hannover kenne und Großstadt eben Großstadt sei. KLAUS MODICK

Stefan Janson (Hg.): „Griechenland Reise-Lesebuch“. dtv. 256 Seiten, 9,50 €ĽStefan Janson (Hg.): „Italien Reise-Lesebuch“. dtv. 283 Seiten. 9,50 €Ľ„Mallorca, Mallorca. Reiselust-Geschichten“. AtV. 263 Seiten, 7,50 €ĽAntonio Tabucchi: „Piazza d’Italia“. Piper. 188 Seiten. 7 €ĽSimone Frieling (Hg.): „Die Sonne“. insel tb. 150 Seiten, 6,50 €ĽHans Christian Kosler (Hg.): „Warum in die Ferne?“ insel tb. 217 Seiten. 8 €