Ein arbeitswütiger Hedonist


„Erst zuhören, dann nachdenken, entscheiden und zum Mittun einladen“

von UTE SCHEUB

„Mit Macht habe ich keine Probleme“, hat er irgendwann gesagt und und sein sonnigstes Lächeln gelächelt. Nicht dass der frisch gekürte Ministerpräsident vorhätte, wie einst der Alte Fritz zu regieren, dafür ist er zu bürgernah und zu gut gelaunt. Ein Sonnenkönig ist er nicht, der neue Chef des alten preußischen Landes, aber ein Sonnykönig.

Matthias Platzeck, 48, ist eine Frohnatur. Locker wirkt er, fröhlich, jovial, aber man hüte sich vor seinem zupackenden Händedruck: Die Hand droht hinterher abzufallen. Ein Strolchi ist er, ein unrasierter Lausbub mit blitzenden Augen. Ein begnadeter Kommunikator, der auf alle zugeht und für jeden die richtigen Worte findet. Unter Bauern redet er von Bodenständigkeit, unter Sozis von Gerechtigkeit, unter JournalistInnen und WählerInnen von der Verpflichtung zum Ehrlichsein, „denn in der DDR gab es genug Lügen“. Und jedes Mal wirkt er dabei Furcht erregend authentisch.

Das also ist jetzt der neue König von Brandenburg, von dem viele auch einen neuen Regierungsstil erwarten. Während sich Manfred Stolpe eher preußisch unterkühlt gab, vom Ruch des einsamen Machers umweht, ist Matthias Platzeck ein echter Teamarbeiter. Schon früher, als Umweltminister, übertrug er seinem Fahrer die Terminplanung, während er selbst auf dem Rad durch seine Heimatstadt Potsdam gurkte. Seine MitarbeiterInnen duzen und mögen ihn, und nicht einmal seine politischen GegnerInnen reden schlecht über ihn. CDU-Chef Jörg Schönbohm, sein Partner-Konkurrent in der großen Koalition, bescheinigt ihm „eine begnadete Fähigkeit zur Kommunikation“.

Die wird er auch nötig haben. Stolpe verlässt seinen Posten just in dem Moment, wo das Land in einer tiefen Krise steckt. Erst die Pleite der Landesentwicklungsgesellschaft, dann die Insolvenz der Prestigeprojekte CargoLifter und Lausitzring, die Schelte des Bundespräsidenten gegenüber Brandenburgs Ja-Nein zum Zuwanderungsgesetz und schließlich einer der letzten Plätze in der Pisa-Rangfolge der Schulsysteme. „Das wird keine leichte Zusammenarbeit in der großen Koalition“, sagt Klaus Schlüter von der Grünen Liga Schwerin, der in Wendezeiten zusammen mit Platzeck Minister ohne Geschäftsbereich im Kabinett Modrow war. Dennoch freut er sich für den früheren Weggefährten, den er als „munter“ und „engagiert“ erlebt hat.

Andere sind skeptischer. „Der Matthias“ habe sich „stets zweckmäßig“ verhalten, hat Marianne Birthler immer wieder kritisiert. Die Exbürgerrechtlerin und Exbildungsministerin verzieh dem Exbürgerrechtler und Exumweltminister nie, dass seine Loyalität zu dem unter Stasiverdacht stehenden Stolpe bedingungslos war. „Der Matthias“, das sei doch „der Ost-Joschka“, „immer mitgeschwommen auf der Welle, bis zu ihrer maximalen Höhe“, findet auch ein anderer Weggefährte aus den Tagen der Ost-Grünen. Noch härter urteilt ein Potsdamer Bürger, der ihn ebenfalls von früher kennt: „Der Matthias“, der lebe inzwischen genauso „politisch degeneriert“ und „abgeschottet“ wie andere Machtträger. „Der schwebt jetzt über den Dingen, wie Stolpe.“ Also doch ein „aufgeklärter Monarch“, wie der Potsdamer PDS-Chef Hans-Jürgen Scharfenberg vor zwei Jahren formulierte?

Eins jedenfalls hat Platzeck gemeinsam mit dem Alten Fritz: die Liebe zu Potsdam. Mitten in den Sand von Brandenburg hat Friedrich der Große sein Schloss Sanssouci gebaut, sein Rokoko-Ohnesorge zwischen Parkbäumen und lauschigen Springbrunnen, umgeben von den schmucken Bürgerhäuschen der Garnisonsstadt. Berlin hat den preußischen König immer weniger interessiert, und Berlin hat auch den brandenburgischen Umweltminister nicht gereizt. Gerhard Schröder wollte den „wirklich tollen Burschen“ nach einem rot-grünen Wahlsieg ins Bundeskabinett nach Bonn und später nach Berlin holen, doch Platzeck zog es schon 1998 vor, scheinbar eine Karrierestufe tiefer zu klettern und Oberbürgermeister von Potsdam zu werden.

Manche sagen Potsdam nach, die „Hauptstadt der schlechten Laune“ zu sein, die Metropole der Meckerer und Miesmacher. Wenn dem so ist, dann hätte Platzecks Vorgänger Gramlich, Spitzname Grämlich, besser als jeder andere die Stadt vertreten. Dann ist nicht erklärbar, warum dieser kontaktgestörte Herr Ohnelachen durch einen Bürgerentscheid abgewählt wurde. Aber er wurde abgewählt, und stattdessen trat Gute-Laune-Matthias an. Auch um auf Geheiß von Manfred Stolpe die Stadt vor einer PDS-Regentschaft zu bewahren. Über 63 Prozent der Stimmen sackte der Potsdamer Sonnyboy bei der Wahl ein.

„Extrem anstrengend“ fand er seinen neuen Siebentagejob, „aber es macht mir riesigen Spaß.“ Er lud zu Bürgerversammlungen, Rathausgesprächen, Stadtspaziergängen, er krempelte die Stadtverwaltung um und kassierte dafür sogar einen Dienstleistungspreis, er redete, lächelte, vermittelte. Ergebnis: Die Stimmung verbesserte sich sichtlich. Moderne Unternehmen und Softwarekonzerne siedelten sich an, in der weitgehend wiederhergestellen barocken Stadt des Alten Fritz schien ein „Silicon Versailles“ zu entstehen, eine neuartige Verbindung zwischen Vergangenheit und Zukunft. Das Etatproblem blieb allerdings ungelöst, und Platzecks Sparkurs war kein Spaßkurs: Philharmonie aufgelöst, städtische Wohnungen verkauft, Verwaltungsstellen gestrichen.

Auch das preußische Stadtschloss soll nun wieder erstehen. Mit tätiger Hilfe des TV-Moderators Jauch und der deutschen Zementindustrie wurde das Fortuna-Portal schon vor zwei Jahren wieder errichtet. Günther Jauch, Wolfgang Joop, das Ehepaar Borer-Fieldings – das ist der moderne Adel, der sich jetzt im aufgemotzten Potsdam niederlässt. Der Platzeck nimmt die Neureichen in seine Arme und weist dennoch, ganz Sozialdemokrat, darauf hin: „Da ist Ungleichheit zementiert worden. Was gehört den Bürgern noch in der Stadt, in der sie fünfzig Jahre gelebt haben?“

„Unter den Grünen war ich ein Roter, jetzt bin ich ein Grüner unter den Roten“, findet er und attestiert sich gleichzeitig einen durchaus bodenständigen Konservativismus: „Ich liebe mein Land.“ Sein „Lebensmittelpunkt“ und „Ansporn“, das sei Brandenburg und zur Uckermark habe er ein geradezu erotisches Verhältnis: „Die ist mit ihren Hügeln eine richtige Busen-und-Po-Landschaft, daraus entstehen Lust und Kraft.“ Ein Sonnykönig darf wohl so reden. Platzeck hat nur zur Arbeit ein preußisches Verhältnis, im Privaten ist er ein ausgeprägter Hedonist. „Er liebt das Leben, gutes Essen und die Frauen“, sagen Mitarbeiter. „Er hat eine verdammt erotische Ausstrahlung, und er weiß das auch“, sagen Frauen. „Zu leben, ohne kaputtzumachen kann unheimlich aufregend sein, richtig erregend“, sagt er selbst.

„Unter den Grünen war ich ein Roter, jetzt bin ich ein Grüner unter den Roten“

Sein Vorvorvorvorvorgänger in Potsdam war da anders, er liebte die Männer und den Krieg. Aber auch die Toleranz. „Die Religionen Müsen alle Tolleriret werden und Mus der Fiscal nuhr das Auge darauf haben, das keine der anderen abrug Tuhe, den hier mus ein jeder nach seiner Fassson Selich werden“, schrieb Friedrich II. kurz nach seinem Regierungsantritt 1740. „Erst zuhören, dann nachdenken, dann entscheiden und zum Mittun einladen“ ist Platzecks moderne Fassung.

Nicht immer ist für solch einen Regierungsstil Zeit. Im August 1997 hastete er als Umweltminister im Laufschritt über die berstenden Deiche der Oder, drei Wochen lang, unermüdlich, von Riss zu Riss, von morgens bis abends. Die Belohnung folgte gleich vierfach: bundesweite Anerkennung, Goldene Kamera, Bundesverdienstkreuz und eine Fernsehmoderatorin als neue Freundin. Etliche, die sich früher dagegen gewehrt hatten, dass Platzeck stolze 40 Prozent der Fläche Brandenburgs unter Naturschutz stellen ließ, mussten anerkennen: Ohne seine Ausweisung des Unteren Odertals als Naturschutz- und Überflutungsgebiet hätte der reißende Fluss noch viel mehr zerstört. Einige der Dammbauten und Kanäle waren sehr alt. Wer wohl hatte sie errichten lassen? Der Alte Fritz natürlich.

Der Sonnenkönig hatte von Geburt an ein intimes Verhältnis zur Macht, der Sonnykönig nicht. Nur durch Zufall sei er in die Politik geraten und nach der Wende an den Runden Tisch gewählt worden, verriet er vor anderthalb Jahren im taz-Interview: „Hätte ich in Leipzig gewohnt und kein Telefon besessen, wäre vieles erst einmal anders gekommen.“ Das Wort „Macht“ „durfte man damals nicht mal aussprechen. Das war ein Unwort.“

Lang, lang ist’s her. Einst hatte er Flugbenzin hoch besteuern wollen. Einst war er gegen den Bau des Flughafens Berlin-Brandenburg. Einst wollte er das Lausitzer Dorf Horno vor dem Braunkohlenabbau retten. Einst wollte er massiv Alternativenergie fördern. Dann ließ er die Bagger los, die westdeutschen Energiekonzerne ins Land, propagierte den Flughafen und die umweltfeindliche Chipfabrik in Frankfurt (Oder) und bekannte sich zum Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr.

Ist das das übliche Schicksal eines Politikers? Immer wieder träumte der Feinschmecker, er wolle irgendwann einfach nur eine Kneipe in Potsdam eröffnen, „mit ganz viel gutem Essen“ und seinem Exstaatssekretär Rainer Speer als Koch. Auch sein jetziges Schicksal wurde am 2. Dezember 2001 beim Kochen mit Speer und Stolpe entschieden. Damals eröffnete ihm der König seinen Geheimplan, dass er, der Kronprinz, im Juni gekrönt werden solle. Ob Platzeck fröhlich lachte, ist nicht überliefert.