Die Frau im Macker

Bridge Markland ist Performerin. Eine Frau, die gern den Mann gibt, vor allem äußerlich. Eine Berlinerin, die nun das erste Drag-King-Cross-Dressing-Festival veranstaltet. Ein Hausbesuch

von FABIAN KRESS

Bridge Markland ist bestimmt eine ganz Kühle. In „Venus Boyz“, dem Film über die Drag-King-Szene, zeigt sie sich fast rotzig. Und in ihren Shows züngelt sie im Publikum mit Fremden, und irgendwo habe ich aufgeschnappt, sie sei gern Monster, mit einer Glatze als ihrem Markenzeichen. Ich weiß also nicht so genau, was mich erwartet. Vielleicht sollte ich mich fürchten?

Neuköllner Hinterhof, oberstes Stockwerk. Die Tür geht auf, vor mir steht eine zierliche Person. Sie erfreut sich an meiner Fastglatze, eine erste Gemeinsamkeit. Sie bittet mich rein, außerdem möge ich die Schuhe ausziehen. Ein T-Shirt und kurze Hosen trägt sie, dazu Knieschoner. Sie ist beim Proben, denn das Drag-King-Festival hat sie nicht nur organisiert, sie zeigt dort auch ihre Show.

Wir gehen durch die große, spärlich möblierte Wohnung nach hinten durch. Es riecht etwas nach alten Öfen, entschuldigt sie. In einem Wohnschlafzimmer nimmt sie Platz auf einer großen, lila Couch. Dahinter eine Stehlampe aus den Fünfzigern. Haben wir auch zu Hause, noch etwas Gemeinsames. Ich taue auf, will mich gegenüber auf einen über und über mit Briefmarken beklebten Stuhl setzen, zögere aber. Kunst ist der schon, sagt sie und lächelt. Aber keine Sorge, der hält was aus.

Nebendran sehe ich den passenden Tisch, hinter mir zwei Lautsprecherboxen, ebenso vollständig beklebt mit tausenden von Briefmarken. Offenbar eine Akribische, mit Liebe zum Detail. Bald zwanzig Jahre lebt sie in Neukölln, sagt sie. Was nicht zu überhören ist. Kodderschnäuzig eben, aber weder monsterhaft noch arrogant, sondern ziemlich entspannt. Hellbraune, schöne Augen hat sie. Und einen etwas müden Blick – die Vorbereitungen des Festivals laufen auf Hochtouren.

Der Begriff Drag-Queen, habe ich gelesen, stammt angeblich aus Shakespeares Stück „Was ihr wollt“, salopp lässt er sich jedenfalls mit Fummelkönigin übersetzen. Was ist aber nun ein Drag-King im Unterschied dazu, will ich von ihr wissen. Ein Drag-King ist jemand, überlegt sie kurz, der Männlichkeit performt. Dabei ist es egal, welches biologische Geschlecht dieser Mensch hat. Wer aus Weiblichkeit eine Performance macht, ist eine Drag-Queen. Das könne aber auch eine Frau sein.

Wenn Bridge Markland in ihrer Show als Frau mit Perücke auftritt und dann ihre Glatze zeigt, wechselt sie das soziale Geschlecht – von der Frau zum Mann. Ist und bleibt aber biologisch und in Wirklichkeit Frau. Double-Drag nennt sich das dann, lerne ich.

Ein wichtiger Unterschied zwischen Queens und Kings liegt natürlich im Rollenverständnis. Wenn Männer Frauen spielen, machen sie sich gern zum schwachen Geschlecht. Wenn Frauen aber Männer spielen, beanspruchen sie Macht. Einige Männer kommen damit überhaupt nicht klar. Dabei wollen weibliche Drag-Kings nicht die Weltmacht an sich reißen oder Männer kastrieren, sondern Stereotype im Kopf aufbrechen, Männlichkeit in Frage stellen. Drag-Queens sind gefälliger, die kommen ironisch, parodieren bis in die falschen Nagelspitzen, sind zum Ablachen komisch. Fragt sich, wie viel Parodie es bei den Drag-Kings sein darf. Ist ihre Darstellung des Männlichen nicht ein bisschen überzogen?

Wenn man mit Stereotypen arbeiten will, sagt Markland, muss man erst einmal Klischees offenbaren. Und die gibt es durchaus noch. Ob es jetzt irgendwelche Bauarbeiter sind oder der einfache Neuköllner: Männer kratzen sich die Eier, sind allem Feminismus und aller eingeforderter Gleichberechtigung zum Trotz frauenfeindlich und sexistisch. Männer fordern ein stereotypes Bild von der Frau an sich. Lange Haare zum Beispiel.

Wenn Markland in Jeans und mit Glatze unterwegs ist, wird sie von Frauen schon mal für einen Jungen gehalten. Was sie mit ihren 41 Jahren als nettes Kompliment nimmt. Männer aber blaffen sie gelegentlich an, stellen sie zur Rede, wieso sie sich denn so jungenhaft aufmache. Wenigstens etwas die Haare wachsen lassen solle sie. Damit man erkenne, dass sie eine Frau ist. Wenn sie aber als Vamp Angela mit Langhaarperücke und hochhackig durch die Stadt zieht, ist sie genau diesen Kritikern wieder zu viel Frau.

Arschlöcher gibt es also nach wie vor. Da ist es schon wieder amüsant, wenn Markland ihren vermeintlich überzogenen Männerdarstellungen täglich ganz real auf der Straße begegnet.

Zum Thema Parodie meint sie, dass weibliche Genderperformance Parodie und Spaß überhaupt nicht ausschließe. Außerdem würde sie ohnehin gern mehr mit Drag-Queens arbeiten, von denen sie eine ganze Menge gelernt hat. Sie mag Tunten, und die Queens fahren wiederum ziemlich auf sie und ihre Show ab, habe sie schon mehrfach gehört.

Logisch wäre also nur, wenn Queens und Kings mehr zusammen machten, so wie der King Dréd Gerestant und Queen Bee Luscious aus New York, die auch in „Venus Boyz“ zu sehen sind. Für das „Go drag!“-Festival hat Markland gemeinsam mit ihrer US-Kollegin Diane Torr ein reines Frauenprogramm zusammengestellt. Für den Anfang, für dieses Festival zumindest, musste das so sein. Drag-Queens sind nun mal etabliert und haben eine entsprechende Öffentlichkeit, die Kings arbeiten noch dran. Vielleicht schon bei nächster Gelegenheit sollen gemeinsame Auftritte ins Programm. Abgemacht.

Sie setzt sich mit gerader Haltung in eine andere Position und sieht dabei tatsächlich eher wie ein Junge aus, als ich endlich die Sexfrage stelle. Und mir dabei plötzlich doof vorkomme: Sind denn alle Drag-Kings lesbisch, und stehen Frauen auf dieses Machogehabe der Kings? Sie schaut mich an und hat kein Problem, über Sex zu reden.

Das mit den lesbischen Frauen kann sie mir nicht beantworten, ich müsse schon eine Lesbe fragen. Sie selbst stehe eher auf Männer. Aber auch die Künstlerinnen auf dem Festival seien nicht alle lesbisch. Und während sie redet, merke ich, wie egal das eigentlich ist. Aufs eigene Klischee hereingefallen!

Auf viele Frauen wirkt sie aber durchaus erotisch, ergänzt sie. Gerade Lesben ziehen sich dann aber oft zurück, weil sie eben auch mit Männern gut kann. Markland erlebt sich selbst immer als Zaungast, auch in diesem Fall. Nicht Frau, nicht Mann, nicht Volllesbe, nicht Vollhetera. Das macht sie in einer Welt der Stereotype angreifbar.

Stereotyp sei ja auch der Männlichkeitstrip, auf dem sich Schwule und Lesben befinden. Alle wollen Männliches – schlechte Zeiten also für Tunten und Femmes, die eher femininen Lesben. Weiblich ist gerade nicht so sexy.

Ich will noch etwas mehr über die US-Szene wissen. Ihr Name „Bridge“ ist offenbar Programm, denn die Künstlerin ist eine wichtige Brücke zur US-Drag-Szene. Vor gut zehn Jahren ging sie erstmals nach New York, und 1996 performte sie im damals berühmten Club Casanova, als der Regisseur Gabriel Baur sie ansprach und für das Projekt „Venus Boyz“ gewann.

Lang schon kennt sie Diane Torr, die Mitbegründerin von „Go drag!“, und viele andere amerikanische Frauen, die immer weitergearbeitet und die Shows in der letzten Zeit auch in die Heteroszene getragen haben. Im Oktober 2001 gab es dann „Kings of New York“, eine viereinhalbstündige Show mit über fünfzig Teilnehmerinnen. Markland weiß die Einflüsse der US-Szene zu nutzen und gestaltet ihr Programm mittlerweile sogar zweisprachig.

Die deutsche Szene war lange überschaubar. Nach einem Medienhype 1996, als der Spiegel aus der deutschen „Subkultur“ reportierte, tat man deutsche Drag-Kings als Modeerscheinung ab. In jüngster Zeit tut sich aber wieder mehr. Antonio Caputo, der wie Markland oft zwischen Berlin und New York hin und her pendelt, sowie die Kingz of Berlin haben heute einen guten Namen. Gerade in Berlin ist frischer Wind zu spüren, eine neue, junge Szene entwickelt sich. Markland selbst gibt Nachhilfe, wo es geht, inspiriert, ermutigt oder veranstaltet Touren und jetzt eben das große Festival.

Fünf Monate hat es gedauert, bis sie den Antrag zu „Go drag!“ stellen konnte. Das war viel Arbeit. Vor allem, um alle Künstlerinnen aus Europa und Amerika zusammenzutrommeln. Und die immer wieder unsichere Finanzlage hielt den Antrag auf. Danach ging alles ganz schnell, flugs wurden ihr die Gelder aus dem Hauptstadtkulturfonds bewilligt.

Die Verantwortlichen glaubten an die Idee, was ihnen hoch anzurechnen ist. Denn so etwas gab es noch nicht, auch keine Drag-Queen-Veranstaltung ist bislang in dieser Form in Deutschland unterstützt worden. Das mache sie stolz. Es war ja auch ein lang gehegter Traum, den sie sich zusammen mit Diane Torr erfüllt habe: es anpacken und einfach machen.

Die Zeit ist schon um, eine Stunde hatten wir verabredet, aber sie zeigt mir noch die übrigen Zimmer ihrer Wohnung. Hier Plakate aus ihren früheren Shows, dort mit Geschenkpapier tapezierte Wände. Nach und nach hat sie sich in Quergebäude und Seitenflügel Wohnungen erschlossen und Durchbrüche gemacht. So kommt sie auf mittlerweile über 150 Quadratmeter. Die Wohnung ist ihr Mikrokosmos. Sie nutzt jeden Winkel. Ein Zimmer hinten ist Büro, zwei sind Proberaum. Sie könne hier eigentlich nicht mehr ausziehen.

Wir sind durch. Mit der Führung und mit dem Gespräch. Ich bedanke mich artig, und wir schauen uns noch mal an – so von Glatze zu Glatze. Sie reicht mir ihre warme Hand.

FABIAN KRESS, 35, Autor in Berlin, war bis heute taz.mag.hospitant. Seine Leseempfehlung: Thomas Piontek: „Drag Kings und die Performanz des postmodernen Geschlechts“, in: Testcard # 8: Gender, Ventil-Verlag, Mainz 2002