Die Paradekünstlerin

Daniela Mercury, die Weiße, ist die Prinzipalin des brasilianischen Samba-Reggae, eines Genres, das von Schwarzen begründet wurde. Am Liebsten würde sie aber auch einmal die Love Parade anführen

von WOLFGANG ZWACK

Rei Momo war sauer: Der Präfekt hatte die Schlüssel der Stadt Salvador da Bahia nicht ihm, dem König des Karnevals, in die Hand gedrückt, sondern – ein Bruch mit der Tradition! – an Mãe Hilda übergeben, die Priesterin des Candomblé, der afrobrasilianischen Volksreligion. Ein symbolischer Akt: Erstmals standen damit die Nachkommen der aus Afrika verschleppten Arbeitssklaven, die das Leben und die Kultur der Dreimillionenmetropole im Norden Brasiliens maßgeblich geprägt haben, im Mittelpunkt des Karnevals. Dessen Motto lautete daher „Carnaváfrica“.

Ins Rampenlicht rückte aber auch eine Weiße: Es war der Donnerstag vor dem längsten Wochenende des Jahres, dem ganz Brasilien engegenfieberte, als Daniela Mercury stolz ankündigte, mit der berühmtesten afrobrasilianischen Karnevalsvereinigung zu defilieren. „Caetano Veloso war der erste weiße Mann, der zusammen mit Ile Ayé auftreten durfte. Und nun, 28 Jahre nach dessen Gründung, bin ich die erste weiße Frau, die mit dem Bloco Afro singt“, freute sich die Sängerin, während ihr zwei Mädchen Dreadlocks in die braunen Haare flochten. Noch immer ist es für jeden Künstler eine Ehre, in den Kreis des ersten und ältesten afrobrasilianischen Percussionensembles der Stadt aufgenommen zu werden, und für jeden weißen Künstler eine besondere Geste der Anerkennung.

Denkt der Durchschnittseuropäer beim Stichwort Karneval eher an Rio de Janeiro, so haben die Feiern in der Hauptstadt des nordöstlichen Bundesstaates Bahia dem Touristenmagneten am Zuckerhut an Enthusiasmus und Eigenheit längst den Rang abgelaufen. Statt Sambaschulen und üppiger allegorischer Bauten beherrscht in Salvador das Trio Elétrico die Straßen: Ein gigantischer Sattelschlepper, vollgestopft mit Lautsprecherboxen und auf den ersten Blick kaum von einem Umzugswagen der Love Parade zu unterscheiden. Oben auf dem Verdeck spielt die Band, unten tanzt das Partyvolk. Siebzig dieser mobilen Musikmaschinen kamen beim vergangenen Karneval zum Einsatz. Und auf einem dieser Monstertrucks gab Daniela Mercury schon mit 16 Jahren ihr Debüt, als sie sich noch auf eine Laufbahn als Tänzerin vorbereitete. Als Choreografin und Tanzlehrerin verdiente sie ihr erstes Geld, bevor sie sich Anfang der Neunziger aufs Singen verlegte. Heute gilt sie als die Königin der beschwingten Axé-Music und hat sich damit als internationale Botschafterin Brasiliens empfohlen. Als ideale Repräsentantin ihres Landes bietet sie sich an, weil sie mit ihrer Musik jene gegenseitige kulturelle Durchdringung verkörpert, auf die man in Brasilien so stolz ist. Tatsächlich verdankt Daniela Mercury ihren Erfolg jenem dröhnenden Groove aus tausend Trommeln, mit dem Afrogruppierungen wie Olodum und Ile Ayé in den Siebzigern schwarzes Selbstbewusstsein herbeihämmerten und der als Samba-Reggae zum Markenzeichen der Stadt geworden ist.

Dass Daniela Mercury, als Weiße, die erfolgreichste Sängerin eines Genres ist, das von Schwarzen begründet worden ist, hat sie mit Musikern aus anderen Ecken und Epochen gemeinsam, von Elvis Presley bis Eminem. Dem möglichen Vorwurf der unbefugten Aneignung begegnet sie mit demonstrativem Respekt: Nicht müde wird sie, immer wieder auf die Bedeutung und die Ursprünge ihrer Musik zu verweisen. Bereits vor zwei Jahren widmete die Künstlerin ihren Hit „Perola Negra“ („schwarze Perle“) jener Percussiontruppe aus dem Stadtteil Liberdade, welche in den Siebzigerjahren in Brasilien die afrikanischen Roots zu neuer Blüte führte. Und auf ihrem Paradealbum „Feijão Com Arroz“ umarmte sie die afrobrasilianische Kultur in einer demonstrativen Geste: Schwarze Bohnen mit Reis, so der Titel, ist das tägliche Brot in den Favelas. Die kulinarische Anspielung enthielt eine soziale Message, die jeder verstand.

Ihre Verwurzelung in den afrikanischen Rhythmen paart Daniela Mercury auf ihrem aktuellen Album „So De Qualquer Lugar“ mit einer bislang ungekannten Offenheit für ultramoderne Klänge. „Ich habe mich stark von der DJ-Kultur inspirieren lassen, von Drum ’n’ Bass, Techno und House. Bereits vor fünf Jahren habe ich begonnen, elektronische Elemente in meine Musik zu integrieren, die ja handgemacht ist und jederzeit auf der Bühne reproduzierbar sein soll. Mir geht es um einen Dialog zwischen dem Analogen und dem Digitalen, den Musikern und dem Computer.“

Das Bahianische ist dabei in den Hintergrund getreten, ihr Sound universaler geworden. Doch die Künstlerin kann sich mit ihrem Crossover-Ansatz ganz auf Bahias Musikpioniere berufen, brachten doch Caetano Veloso und Gilberto Gil schon in den Sechzigerjahren Samba mit Rock, später mit Funk und Reggae zusammen.

So sucht Daniela Mercury auch den Anschluss an die deutsche Love Parade. Deren unterstellte Affinität zum bahianischen Karneval inspirierte Daniela Mercury in diesem Jahr erstmals dazu, ein, wie sie es nennt, Trio Techno zusammenzustellen: „Auf dem Trio Techno wird eine perkussive bahianische Musik auf elektronischer Basis erzeugt, die auch live umgesetzt werden kann“, erklärt sie das Prinzip. Ihr Besuch der Berliner Technoparty vor zwei Jahren bestärkte sie in dem Wunsch, einmal mit ihrem eigenen Trio daran teilzunehmen. „Der Sound der Love Parade unterscheidet sich natürlich von unserem Karneval: In Berlin gab es nur Musik vom Plattenteller, niemand hat gesungen. Aber einer der stärksten Momente dabei war für mich, als ein DJ einen Samba-Loop einstreute. Das ist genau die Mischung, mit der ich dienen kann. Ich glaube, dass der Love Parade etwas Abwechslung nicht schaden würde.“

Tour: 3. 7. Karlsruhe, 4. 7. Konstanz, 5. 7. München