„Jeder Strich ein Genuss“

Hip Hop hat in Bremen eine neue Heimat gefunden: Der Anti Funk Laden im Viertel verkauft Rap-Scheiben, selbst designte Klamotten und Farbdosen. Für Pierre Jedrzejczak und „das Potential“ Kevin Gray ist die Hip Hop-Kultur kreativer Lebensinhalt, bei der Polizei führte sie zur Soko „Farbvandalismus“

Bei der Soko Bremen stapeln sich bis zu neunhundert Graffiti-Akten

Wenn Pierre Jedrzejczak vom Hip Hop spricht, schwingt Euphorie mit: „Wir haben unsere eigene Schrift, Sprache, einen eigenen Tanz und ein eigenes Musikinstrument.“ Der 25-jährigeBremer betont mit einem Schlag in seine Handfläche jedes einzelne Element der Subkultur. So steht hinter der Kasse vom Anti Funk Laden ein Plattenspieler, auf dem sich die schwarzen Vinyls des Bremer Rap-Nachwuchses drehen, daneben ein Regal, auf dem sich bis an die Decke Dosen stapeln. „Wir verkaufen 150 verschiedenen Farbtöne und zwölf Sprühaufsetzer“, erzählt Jedrzejczak. Er ist Mitbegründer des Anti Funk Shop, in dem vom Farbmarker bis zum Breakdance Video alles über den Tisch geht, – solange es mit Hip Hop zu tun hat.

Der Sielwall 7 entwickelte sich rasch zu einer neuen „Corner“, einem Treffpunkt der Bremer Szene. Hier verstehen sich die Kunden als Künstler und chillen auf dem roten Sofa, diskutieren Skizzen für das nächste Graffiti „Piece“. Und Rap Musiker legen selbstgebrannte CDs mit ihren frisch produzierten Tracks zum Verkauf aus. Der gelernte Handwerker Jedrzejczak begegnete dem Konzept in Zürich, München und Berlin – und importierte es nach Bremen.

Bald sollen auch T- Shirts nach eigenem Design am Garderobenständer hängen. Die Gestaltung soll Jedrzejczaks Mitstreiter Kevin Gray übernehmen, den Jedrzejczak als das „Potential“ vorstellt. „Der kann alles malen, von dreidimensional bis fotorealistisch, von Shredder bis Ölgemälde.“ Zusammen sprühen die beiden auch Aufträge: dem Motorradclubhaus in Brinkum verpassten sie jüngst eine mexikanische Wüstenlandschaft. Und verdienten damit Geld für ihre Klamottenherstellung.

Ein Privileg, denn normalweiser sind Sprayer froh, wenn sie überhaupt sprühen können. Denn an legalen Flächen für Graffiti-Maler mangelt es in Bremen: „Dauernd fragen Leute, wo man malen kann. Doch die Stadt reagiert nicht, obwohl man so die Illegalität bekämpfen könnte. Das wissen die auch“, ärgert sich Jedrzejczak. „Wenn man einen Style im Kopf hat, den man verwirklichen will, ist vielen egal, ob illegal oder legal“, beschreibt er das Dilemma.

Häuserwände, Haltestellen, Autobahnbrücken und Züge dienen den „Writern“ als Leinwände. Die Bremer Soko richtete 1997 das eigene Sachgebiet „Farbvandalismus“ ein, denn mit der Beliebtheit der aus New York stammenden Freiluftkunst wuchsen auch die Delikte von Beschädigung fremden Eigentums. Heute stapeln sich bei der Soko Bremen bis zu neunhundert Graffiti-Akten. „Bei den Tätern, zumeist zwischen 14 bis 21 Jahre alt, ist das Unrechtsbewusstsein oft nicht stark ausgeprägt“, erläutert Sonja Wolf von der Bremer Soko.

„Ich kenne einen von tausend Sprühern, der zahlen musste. Aber bei dem ist auch das Leben vorbei“, erzählt Jedrzejczak, der selbst früher nachts loszog, um Flächen der Stadt zu färben. Bei ihm fing es vor elf Jahren mit einem Edding an, zunächst „taggte“ er seinen Kürzel, dann wurde er zum Schüler der Bremer Graffiti-Legende Salomon. Jedrzejczak fuhr durch die Republik, knipste bunte Bilder, studierte die Hieroglyphen der Subkultur. „Damals waren alle Züge in Bremen gebombt“, erinnert er sich an die hiesige Hochzeit ohne Prahlerei.

Sich von Graffiti abzuwenden ist auch für den neunzehn Jahre alten Gray undenkbar. Für ihn scheint es die pure Leidenschaft zu sein: „Allein der Geruch der Dosen törnt mich an. Das Ausfüllen, die Seconds ziehen, jeder Strich ein Genuss.“ Gegen den Vorwurf, „writen“ sei destruktiv, wehrt sich Gray, der vor einem Jahr auch Anti Funk Records gründete und seine eigene Musik verlegt: „Andere Jugendliche werfen sich Pillen ein oder hocken vor dem Computer und sehen 24 Stunden Kopfschüsse im Nahzoom. Hip Hop ist da kreativer.“

Nach seiner Ausbildung als Heizungsleger will Jedrzejczak mehr Zeit und Geld in das Projekt stecken, auch wenn er dafür auf Luxus wie Autofahren verzichten muss. So kann Anti Funk auch Anti Spaß heißen: „ Wir haben hier Kredite drauf. Da darf nichts den Berg runtergehen.“ Doch der Respekt aus der Szene scheint der Schlüsselfigur von Anti Funk gesichert, denn immer wieder schauen bekannte Gesichter des Bremer Hip Hop vorbei, um ein paar Sätze zu wechseln.

Hier verstehen sich die Kunden als Künstler, chillen und diskutieren Skizzen

„Im Urlaub war ich auch immer auf Graffiti-Tour“, sagt Jedrzejczak, der von Krakau bis Rom, von Dänemark bis Spanien mit Dosen im Gepäck pilgerte. „Wenn man mit zehn Mann aus allen Ländern vor einer zehn Meter hohen und 100 Meter breiten weißen Wand steht, und nach zwei Tagen schweift der Blick über eine Riesenleinwand... da werde ich mich mein Leben lang dran erinnern“.

Nur in Indien sei es schwer mit dem Malen gewesen: „In Bombay wohnen sechs Millionen Menschen auf der Straße. Mindestens zwei Millionen haben die Idee, im Zug zu pennen, und Militär patrouilliert mit Kalashnikovs“, bemerkt Jedrzejczak, und dies wäre ihm dann doch zu heikel gewesen. Daniel Toedt