Ein Verdammter dieser Erde

Frantz Fanon war ein wichtiger Theoretiker der antikolonialen Befreiungskämpfe. Alice Cherki erinnert an ihn

„Den Jüngeren, die noch keine dreißig Jahre alt sind“, widmet Alice Cherki ihre Frantz-Fanon-Biografie. Denn sie wissen fast nichts mehr von dem einst berühmten schwarzen Franzosen. Fanon war schließlich nicht nur Arzt, Psychiater und Schriftsteller, sondern in den 60er- und 70er-Jahren auch einer der wichtigsten Theoretiker der Befreiungskämpfe gegen Kolonialismus und Rassismus. Heute wird er, zumindest in Europa, kaum mehr gelesen – und allzu oft als dumpfer Gewaltideologe abqualifiziert. Umso verdienstvoller ist der Versuch, diesen ungerechtfertigten Zuschreibungen mit der Biografie von Alice Cherki entgegenzutreten.

Frantz Fanon wird 1925 als Sohn eines schwarzen Zollbeamten auf der Antilleninsel Martinique geboren. Noch vor dem Abitur verlässt er gegen den Willen seiner Eltern seine Heimat und kämpft als Freiwilliger unter de Gaulle gegen die Nazis. Er wird dabei mehrfach verwundet und ausgezeichnet. Dann ist der Krieg vorbei und Fanon, der sein Leben im Kampf gegen den Rassismus der Nazis aufs Spiel gesetzt hat, muss feststellen, dass er als schwarzer Soldat ein Sieger zweiter Klasse ist. Bei den Siegesfeiern 1945 werden er und die anderen schwarzen Soldaten meist in den hinteren Reihen versteckt. Fanon ist von Frankreich bitter enttäuscht. Er kehrt nach Martinique zurück, macht das Abitur nach und fährt dann zum Medizinstudium erneut nach Frankreich. In dieser Zeit kommt er in Kontakt mit einem damals neuartigen psychiatrischen Ansatz, der den „Wahnsinn in seinem engen Verhältnis zur sozialen und auch kulturellen Entfremdung untersucht“. Und er schreibt an „Schwarze Haut, weiße Masken“, einer ersten Analyse des europäischen Rassismus und dessen Auswirkung auf die Betroffenen.

1953 übernimmt Fanon den Posten des Chefarztes der psychiatrischen Klinik von Blida, einer kleinen Stadt in der französischen Kolonie Algerien. Die dort tätigen französischen Psychiater stufen die algerischen Araber als „Primitive“ ein, deren Gehirn in seiner Entwicklung stehen geblieben sei. Geistesstörungen seien folglich bei ihnen nicht heilbar. Fanon versucht, gegen den zähen Widerstand seiner Kollegen, Reformen in der Klinik durchzusetzen, er lernt die Familien seiner Patienten kennen und erlebt, wie destruktiv sich Kolonialismus und Rassismus auf die Psyche eines ganzen Volkes auswirken. Er erfährt dies auch am eigenen Leib. Zwar gehört er als Franzose und Arzt eigentlich der kolonialalgerischen Oberschicht an – aber er ist schwarz.

An diesem Punkt seines Lebens lernt ihn seine Biografin Alice Cherki kennen. Sie ist ebenfalls Medizinerin und Psychiaterin und sie kann sich sehr gut in ihren Kollegen einfühlen, denn sie wiederum gehört der jüdischen Minderheit Algeriens an. Auch die Juden Algeriens waren im Verlauf ihrer Geschichte immer wieder rassistischen Diskriminierungen ausgesetzt gewesen, zuletzt 1940 durch das Vichy-Regime, das mit den Nazis kollaborierte.

1954 bricht der Algerische Aufstand gegen die Kolonialmacht aus. Die schlägt brutal zurück. Auch der Klinikalltag in Blida bleibt nicht unberührt. Das Erlebnis der Gewalt traumatisiert Opfer und Täter. Fanon belässt es nicht dabei, die Traumatisierten zu therapieren. Er schließt er sich der Befreiungsbewegung FLN an. Nach Ausrufung der Unabhängigkeit Ghanas geht er in die Hauptstadt Accra, wo er die algerische Exilregierung vertritt. Er hat nun die Gelegenheit, den Aufbau eines unabhängigen afrikanischen Staates aus nächster Nähe zu beobachten. Unter diesem Eindruck schreibt er „L’an V de la révolution algérienne“ und skizziert dort ein „künftiges freies Algerien, in dem Araber, Kabylen, Juden und christliche Europäer gleichberechtigt nebeneinander leben können“. In Afrika wird das Buch begeistert aufgenommen, in Frankreich jedoch bald nach seinem Erscheinen verboten. Mehrfach werden auf Fanon Anschläge verübt.

Zu diesem Zeitpunkt ist er bereits schwer an Leukämie erkrankt. Im Frühjahr 1961 – er hat nur noch wenige Monate zu leben – beginnt Fanon mit „Die Verdammten dieser Erde“. Wenige Tage vor seinem Tod kommt das Buch heraus. Am 6. Dezember 1961 stirbt Fanon mit 36 Jahren in einem amerikanischen Krankenhaus.

Im letzten ausführlichen Kapitel ihres Buches umreißt Cherki die Rezeptionsgeschichte der Schriften Fanons seit seinem Tod. Dabei geht sie auch auf die Frage der Gewalt ein. Fanon, so Cherki, „betonte, dass die Tatsache, jemandem zu einem minderwertigen Menschen zu machen, Gewalt erzeugt“. Wenn man ihm folgt, wird es offensichtlich, dass diese Gewalt, die von den „befriedeten“ Gesellschaften … ständig geleugnet wird, letztlich unkontrolliert werden kann. Sie geht dann an die Grenzen der Vernichtung des anderen oder von sich selbst. Die Aktualität dieser Beobachtung belegen nicht zuletzt die Anschläge vom 11. September.

URSULA TRÜPER

Alice Cherki: „Frantz Fanon. Ein Portrait“, übersetzt von Andreas Löhrer, mit einem Vorwort von Lothar Baier, 352 Seiten, Edition Nautilus, Hamburg 2002, 24,90 €