Mitten durch die Toskana rasen

Italiens Verkehrsminister plant ein großes Projekt: Statt die Küstenstraße auszubauen, will er lieber eine Autobahn

ROM taz ■ Ein schmales Sträßchen, links die sanft ansteigende Anhöhe rauf über hunderte Meter das leuchtende Gelb eines Sonnenblumenfeldes, dahinter Wald, rechts im Wechsel Olivenhaine, Weinstöcke, Kornfelder, Wiesen, auf der Strecke ab und zu ein Bauernhof und das war’s. Jahrzehntelang lag die Maremma, der küstennahe Landstrich im südlichen Zipfel der Toskana, im Abseits der wirtschaftlichen Entwicklung – mit dem Ergebnis, dass sie heute eines der Gebiete Italiens mit der dünnsten Besiedelung und der besterhaltenen Natur ist.

Das kann man schön finden, man muss es aber nicht. „Landschaften von geringem Wert, bloß Weiden und unkultiviertes Land“, hat hier Italiens Verkehrsminister Pietro Lunardi ausfindig gemacht. Berlusconis Mann für die „grandi opere“, die „großen Projekte“, weiß Abhilfe: Eine Autobahn, die die Hügel der toskanischen Maremma auf 54 Kilometer durchschneiden soll, könnte den wertlosen Landstrich mit einigen architektonischen Meisterleistungen endlich aufmöbeln, könnte italienischer Ingenieurkunst mit Brücken, Tunnels und geständerten Abschnitten ein schönes Denkmal setzen.

Nur ein Problem hat Lunardi: Die Toskaner sind mit seiner Sicht der Dinge absolut nicht einverstanden. Claudio Martini, Präsident der Region, gesteht zwar zu, dass der Verkehr auf der Küstenstraße „Aurelia“ überlastet ist, doch Lunardis Lösung hält er für absurd. Schon im Dezember 2000 hatten sich die Region, die betroffenen Gemeinden und Italiens Regierung auf einen anderen Plan geeinigt: auf den durchgängigen Ausbau der direkt an der Küste verlaufenden „Aurelia“ zu einer vierspurigen Schnellstraße.

Dieses Projekt aber warf Lunardi über den Haufen. „Gegenüber unserem Projekt hat Lunardis Plan nur Nachteile“, rechnet Martini vor. „Die Streckenführung durch die Hügel statt entlang der Küste ist vollkommen unsinnig, denn der Hauptteil des heutigen Verkehrsaufkommens bewegt sich zwischen den Küstenorten.“ Zudem ruiniere Lunardis Lösung eine intakte Landschaft. In den letzten Jahren habe eine sehr dynamische Entwicklung eingesetzt, die gerade auf der hohen Qualität der Umwelt beruhe. „Die Touristen kommen gerade hierher, weil sie einen der wenigen noch unberührten Landstriche vorfinden wollen. Die würden vertrieben.“ Nicht zuletzt koste das Regierungsprojekt eine Milliarde Euro mehr.

Die Streckenführung nutzt keinem vor Ort – Lunardi selbst plant sinnigerweise auch nur eine einzige Ausfahrt auf 54 Kilometern. Hinzu kommen enorme Umweltschäden durch die Autobahn selbst sowie durch das komplett für die Baustellenfahrzeuge erst zu schaffende Netz von Zufahrtsstraßen, astronomische Kosten, weil die küstenferne Streckenführung allein 13 Kilometer Tunnel und noch mal 13 Kilometer Brücken vorsieht. Warum bloß ist der Minister so scharf auf das anscheinend sinnlose Projekt?

Mag sein, dass gerade in der Sinnlosigkeit der Sinn zu suchen ist. Lunardi ist ein Mann mit Vergangenheit. Vor seiner Bestallung durch Berlusconi tat der Ingenieur nichts anderes, als Autobahnbrücken und -tunnel zu entwerfen, seine Projektierungsfirma Rocksoil gehört in Italien zu den Marktführern.

Trotzdem könne von einem „Interessenkonflikt“ zwischen unternehmerischer und politischer Tätigkeit keine Rede sein, beteuert der Minister. Schließlich habe er Rocksoil verkauft. Dass seine eigene Familie das Unternehmen erwarb, lässt Lunardi weg. Trotzdem will Regionspräsident Martini nicht polemisieren. Er könne sich nur über die „redlichen Motive“ hinter Lunardis Plan äußern, sagt er. Als Begründung für die küstenferne Streckenführung habe Lunardi angeführt, dass Bauarbeiten auf der Küstenstraße „Aurelia“ den Verkehr behindern würden: „Mit dem gleichen Argument wäre bei jeder Autobahn statt Aus- ein kompletter Neubau fällig.“ Aber dann rutscht es ihm doch heraus: „Mancher weist eben darauf hin, dass beim Lunardi-Projekt ein Haufen Tunnels zu bauen sind.“ MICHAEL BRAUN