Alle Jahre Gefieder

Vorbei die Zeiten, in denen Stadtzeitungen aus politischen Gründen auf Sexanzeigen verzichteten. Da kann es passieren, dass man im Allerlei von „Ruf mich an, bis du kommst!“ obskure, aber verlockende Angebote findet. Eine Hühnerfickergeschichte

von FALKO HENNIG

Mike blätterte in der aktuellen zitty, wieder einmal war kein Hinweis auf seine Veranstaltung abgedruckt. Das hieß: Wieder einmal würde kein Zuschauer kommen, wieder würde er seine Show ausfallen lassen müssen. Dabei war er extra mit dem Fahrrad bis zur Redaktion zum Halleschen Tor gefahren, hatte den Umschlag mit Pressetext und dem riesigen Foto, das ihn mit zwei Frettchen auf den Schultern zeigte, eigenhändig abgegeben.

Jetzt fiel ihm die Anzeige auf. Viele Jahre hatte die zitty, sicherlich aus politischen Gründen, auf das Abdrucken von Sexanzeigen verzichtet, seit einigen Jahren aber war das Heft mit der Zeit gegangen, und so standen die entsprechenden Annoncen auf mehreren Seiten: „Hör mich blasen!“, „Ruf mich an, bis du kommst!“ usw. Doch in der rechten unteren Ecke fiel Mike etwas auf, in einem einfachen Linienrahmen stand: „Sex, 3 Euro, Schönhauser Allee 198“.

Das war erstaunlich billig, das konnte ja nichts Ordentliches sein, dachte Mike. Er ging noch mal seine Texte und Sketche durch, Emil, Emaille, E-Mail, sein bester bis jetzt, der kam eigentlich immer an, aber nur wenn Zuschauer da waren. Dann war es Zeit hinüber zu gehen in Vollrads Tonsaal. Mike graute jetzt schon vor dem leeren und wahrscheinlich auch leer bleibenden Raum.

Die Betreiberin empfing ihn, sie hatte das Haus geerbt und versuchte seit Jahren eine zugkräftige Veranstaltung zu bekommen, doch bisher hatte es nicht geklappt. Mike zog sich um, sah sich kurz in dem Spiegel, ein dicker Mann von Ende 40, nein, schön war er nicht. Er zog sich seine Lederjacke mit den beiden ausgestopften Frettchen auf den Schultern an, es war 20 Uhr, Veranstaltungsbeginn, und bis jetzt war kein Zuschauer erschienen. Mike stand an der Bar und unterhielt sich mit der Betreiberin. Sie hatte es auch nicht leicht, ließ ihn aber keine Enttäuschung spüren darüber, dass wohl auch heute das Haus nicht voll werden würde.

Mike trank ein Bier, es war kurz nach 20 Uhr, endlich Stimmen aus dem Treppenhaus. Ein kleiner glatzköpfiger Mann kam herein: „Ist hier die Charms-Lesung?“, fragte er misstrauisch. „Nein“, sagte Mike, „hier ist ,Alle Jahre Flieder‘“. „Und wo ist die Charms-Lesung?“

„Weiß ich nicht, hier jedenfalls nicht.“ Enttäuscht verließ der Mann den Veranstaltungsraum. Schließlich zog Mike die Frettchen-Jacke wieder aus. Er wartete noch einige Minuten, doch das Treppenhaus blieb still.

Er ging hinunter auf die Schönhauser Allee, „Sex, 3 Euro“ fiel ihm ein, und die Hausnummer 198. Das war schon unglaublich billig, finanziell war das also kein Risiko. Mike ging vorbei an der Baustelle Ecke Fehrbelliner, an der Lottumstraße, und stand am Eckhaus Nr. 198. Er ging die Klingelschilder durch, „Sex“ stand an einem, Mike klingelte. Der Summer ertönte, Mike stieg die Treppe nach oben, eine Frau in einem Tigerbikini stand in der Tür.

„Diese Anzeige“, fragte Mike, „Sex für 3 Euro, ist das ernst gemeint?“ Die Frau sah ihn an, Mike kam es abschätzig vor, doch dann antwortete sie: „Aber Vorkasse!“ Mike gab ihr die Münzen.

„Okay, komm!“ Mike folgte ihr, sie öffnete eine Tür: „Da rein!“ Mike trat ein, es war ein kahler, weißer Raum, ein Bett stand darin mit weißer Plüschdecke, darauf stand ein braunes Huhn. Er ging wieder zurück, die Tigerbikinifrau war schon fast am Ende des Flurs, Mike schrie: „Halt!“, die Frau blieb stehen, „da ist nur ein Huhn drin.“ Ungehalten schrie die Frau zurück: „Was erwarten Sie für 3 Euro? Britney Spears?“ Damit verschwand sie. Mike ging zurück in den Raum. Das Huhn sah ihn an. Er streckte seine Hand aus, das Huhn kam vertraulich näher. Mike griff es sich, immerhin hatte er dafür bezahlt, das Huhn gackerte und schlug mit den Flügeln. „Du kleine Schnepfe!“ sagte Mike, und es erregte ihn, dabei war es doch gar nicht verwerflich, einen Schnabelvogel als Schnepfe zu bezeichnen. Er rieb mit dem Vogel an seinem Penis und spürte, wie der steif wurde. Etwas umständlich, ohne das Huhn loszulassen, entledigte er sich seiner Hose, streifte auch die Unterhose herunter, schmierte sich seinen Schwanz mit der bereitliegenden Gleitcreme ein. Der Widerstand des Vogels reizte ihn noch mehr, er fickte das Huhn. Laut gackerte die Henne, zappelte, und Mike kam. Erschöpft ließ er sich nach hinten auf das weiße Bett fallen.

*****

Die nächsten Tage dachte Mike intensiv über einen neuen Sketch nach, eigentlich hatte er das meiste schon zusammen. Ein Amerikaner auf dem Postamt will ein lebendes Huhn verschicken, weiß die Wörter für „send“ und „chicken“ nicht, daraus ergeben sich die verschiedensten lustigen Verwicklungen, „Was wollen Sie schicken?“ Und der Amerikaner würde eifrig mit dem Kopf nicken und antworten: „I want to send the chicken.“

Dann wusste Mike nicht weiter, er zog sich an und ging zur Schönhauser 198. Er klingelte und wieder öffnete ihm die Frau in dem Tigerbikini.

„Ich war letzte Woche hier, ich hätte gern wieder Sex für 3 Euro. Wissen Sie, das Huhn.“

„Das Huhn ist leider diesmal nicht, aber wir haben noch Sex für 4 Euro.“ Mike überlegte nur kurz: „Einverstanden.“ Er bezahlte, die Tigerbikinifrau öffnete ihm eine Tür, Mike trat ein. In dem Raum standen zirka 20 Männer, manche hatten ihre Hosen unten, manche hatten nur die Hosenschlitze offen, aber alle hatten ihren Penis in der Hand und onanierten. Das war eigentlich nicht, was Mike erwartet hatte, er war schließlich nicht homosexuell. Ihn irritierte, dass die Männer ansonsten ganz normal gekleidet waren, die meisten wie Büroangestellte, und trotzdem hatten sie ihre Schwänze in den Händen, als wäre es ganz normal.

Mike wollte den Raum gerade wieder verlassen, als er sah, wohin all die Männer starrten. Oben an der Wand hing ein riesiger dieser neuen flachen Fernseher, sicher 3 mal 2 Meter Bildschirmgröße, und darin war ein nacktes Liebespaar beim Liebesspiel zu sehen.

Mike schaute ebenfalls, gerade gab die Frau dem Mann das, was man einen „Blowjob“ nannte, dann vögelten sie wieder auf die klassische Art, und Mike bemerkte, wie er eine Erektion bekam. Er sah sich um, doch niemand achtete auf ihn. Ab und an spritze einer der Männer ab, doch die meisten waren noch konzentriert bei der Sache. Na gut, dachte Mike, bezahlt habe ich, und warum auch nicht? Er öffnete seinen Hosenschlitz, starrte auf den Bildschirm und begann ebenfalls zu onanieren. Das Paar auf dem Bildschirm wechselte die Stellung, der Mann begab sich hinter die Frau, führte seinen Penis ein, knetete mit der einen Hand ihre Brust und fingerte mit der anderen an ihrer Möse.

„Ist das hier immer so?“, fragte Mike seinen Nebenmann, der antwortete, ohne den Blick vom Bildschirm zu wenden: „Nein, du hast Glück. Es ist hier immer anders, immer was Neues.“ Mike wichste weiter, bald würde er kommen.

„Du hast wirklich Glück“, sagte der Mann, Mike spürte, wie sich an seiner Eichel die ersten Lusttropfen bildeten.

„Wirklich Glück. Letzte Woche hatten wir hier nur einen ekligen Kerl, der ein Huhn fickte.“