Toni kommt nicht wieder

Brandenburg verliert einen Neonazi-V-Mann, weil die Berliner Staatsanwaltschaft mal wieder gegen die rechtsextreme Musikszene ermittelt. Der V-Mann vertrieb jahrelang rechte Propaganda in Guben

von HEIKE KLEFFNER

Wer derzeit in Gubens bekanntesten Neonaziladen anruft, hat einen verwirrten Naziskin am Telefon. Dass in dem Geschäft im Plattenbauviertel Obersprucke, dessen Umbenennung von „Top One“ in „Hatecrime“ erst vor wenigen Tagen erfolgte, seit rund vier Jahren indiziierte Rechtsrock-CDs unterm Ladentisch verkauft und per Mailorder – 15 Euro das Stück – quer durch Deutschland verschickt werden, ist stadtbekannt. „Der Laden ist ein wichtiger Anlaufpunkt vor allem für jüngere Naziskins und trägt zur Festigung einer ohnehin sehr selbstbewussten Neonaziszene bei“, sagt Franziska Keller vom Internationalen Jugendverein Guben/Gubin. Nebenbei betrieben Mitarbeiter des Ladens auch noch andere Formen rechter Rekrutierungsarbeit, beispielsweise mit dem Neonazifanzine „Volkswille“, das Jugendliche an die Szene anbinden soll.

Auf die Frage nach dem Aufenthaltsort des Ladenchefs erfährt man von einem Verkäufer: „Toni kommt nicht wieder, der sitzt im Knast. Die Zeitungen sagen, dass er V-Mann war.“ Dass der 27-jährige Cottbusser mit dem lukrativen rechten Laden- und Versandhandel in Guben bezahlter Informant des brandenburgischen Verfassungsschutzes war, bestätigt auch das brandenburgische Innenministerium. Über den V-Mann habe man die Produktion der CD „Noten des Hasses“ der Neonaziband „White Aryan Rebels“ aufdecken wollen, heißt es aus Potsdam.

Pech für die Brandenburger Schlapphüte, dass die Berliner Staatsanwaltschaft das gleiche Ziel verfolgte und schneller zuschlug: Berliner Beamte nahmen Toni S. gemeinsam mit dem Berliner Neonazikader Lars Burmeister in der Nacht zum vorvergangenen Sonntag in Marzahn bei einem rechtsextremen Konzert fest. Seitdem sitzen die beiden in Untersuchungshaft.

Die Berliner Polizei hatte das Konzert gestürmt, in der Hoffnung, die konspirative Übergabe von rund 3.000 CDs der Band „White Aryan Rebels“ zu verhindern. Das Konzert in einem Bikerclub in Marzahn, der offenbar auch von der „Weißen Arischen Bruderschaft“ genutzt wurde, war in der rechten Szene wochenlang beworben worden. Nach Informationen des Antifaschistischen Pressearchivs war als Top Act die thüringische NS-Black-Metall Band „Totenburg“ angekündigt.

Das Hauptinteresse der Berliner Ermittler galt jedoch mit den „White Aryan Rebels“ einer Rechtsrock-Band, die in Marzahn offenbar nicht auftrat. Die Band war erstmals im Januar 2001 ins Visier der Ermittler geraten, weil auf ihrer CD „Noten des Hasses“ unter anderem zum Mord an Michel Friedmann aufgerufen wurde. Ein Ermittlungsverfahren gegen die Macher der CD wurde im vergangenen Jahr jedoch eingestellt, weil es den Sicherheitsbehörden nicht gelang, die Mitglieder der Band namhaft zu machen.

Dabei gaben die durchaus immer wieder Hinweise auf ihre Identität und ihre Zugehörigkeit zu Mitte der 90er-Jahre verbotenen Neonaziorganisationen. So brüsteten sich Bandmitglieder im vergangenen Jahr in einem Interview, sie hätten, „als es noch zugelassene NS-Parteien in Deutschland gab“, selbst rechte Veranstaltungen organisiert. Vorangestellt ist ein unverhohlener Aufruf zu Gewalt: „Hass ist unser Antrieb, unsere Art zu leben und auch die Zukunft, die wir dem System predigen.“

Nachdem die erste Auflage von „Noten des Hasses“ innerhalb der Szene schnell verkauft war, wollten Toni S. und Lars Burmeister sowie eine bislang unbekannte Anzahl weiterer Verdächtiger nun durch einen Nachdruck von 3.000 weiteren CDs offenbar die Nachfrage befriedigen und entsprechend Profit machen, behauptet die Berliner Staatsanwaltschaft.

Welche Rolle die beiden bei den „White Aryan Rebels“ tatsächlich spielten, darüber streiten sich die Sicherheitsbehörden in Berlin und Brandenburg derzeit öffentlich. Das Potsdamer Innenministerium bestreitet jedenfalls, dass Toni S. selbst Mitglied der Band gewesen sei. Vielmehr habe man über den Ladenbesitzer „intime Detailskenntnisse über den rechtsextremen Musikhandel erlangt“, schreibt die Märkische Allgemeine Zeitung (MAZ) unter Berufung auf brandenburgische Sicherheitskreise. Danach sollte die 3.000 CDs in einem ungarischen Presswerk hergestellt und dann in kleine Päckchen aufgeteilt mit Leihwägen über die Grenze nach Deutschland geschmuggelt werden. Teil des Netzwerkes ist laut MAZ auch ein österreichischer Neonazi gewesen, der als Zollbeamter arbeitet. Offenbar hatten die Brandenburger Sicherheitsbehörden gehofft, das gesamte Vertriebs- und Produktionssystem der Band zu zerschlagen. Nun ließ das Potsdamer Innenministerium verlauten, man habe im höheren Auftrag gehandelt, nämlich in Zusammenarbeit mit Verfassungsschützern des Bundes und anderer Länder.