„500 Millionen zurück – das haut einen um“

Der Münchner Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) über die Ursachen der Finanznot in der bayerischen Landeshauptstadt

taz: Herr Ude, das wohlhabende München ist plötzlich pleite. Warum?

Christian Ude: Die Finanznot hat viele Ursachen. Sie hat zuallererst mit der schlechten Konjunktur zu tun.

Schadet Ihnen nicht viel mehr die rot-grüne Steuerreform?

Wenn schon, dann bitte die Reformen der letzten Jahrzehnte, die beinahe alle zur Aushöhlung der Gewerbesteuer beigetragen haben. Nehmen Sie die Regierung Kohl, die hat die Gewerbekapitalsteuer abgeschafft. Seitdem kommt es bei der Steuererhebung in den Kommunen nur noch auf den erklärten Gewinn an – und nicht mehr auf die Größe des Unternehmens. Das heißt, unsere Finanzen sind sehr stark konjunkturabhängig geworden.

Sie wollen Rot-Grün exkulpieren.

Nein. Man muss am Ende einer rot-grünen Legislaturperiode einräumen, dass diese Bundesregierung die Steuerschlupflöcher für große Konzerne nicht etwa gestopft hat, sondern belassen hat.

Wer sind die Steuerflüchtlinge?

Der letzte Nackenschlag bei uns in München war die Rückforderung der HypoVereinsbank von 90 Millionen Euro. Jeder weiß, dass dieses Institut mit der Kirch-Gruppe heftig verbandelt war, die gerade in Konkurs gegangen ist. Die Versicherungsbranche hat angeblich mit dem 11. September zu tun, bei Siemens beruft man sich auf den Umsatzrückgang im Handygeschäft.

Wo sparen Sie jetzt?

Wir haben eine Haushaltssperre verhängt. Das bedeutet, wir werden vieles an freiwilligen Leistungen unterlassen. Das geht vom Jugendtreffpunkt über den Kinderkrippenbau bis hin zu Sportanlagen und Senioreneinrichtungen.

Hat Sie der aktuelle Steuerausfall kalt erwischt?

Wir konnten uns in der Tat nicht vorstellen, dass wir 500 Millionen Euro zurückzahlen müssten – aus längst vergangenen Veranlagungsjahren. Das ist Geld, das wir bereits eingenommen und ausgegeben hatten. Das haut einen um.

Unternehmen mit guten Bilanzen nehmen ihnen nachträglich Geld ab?

Es ist ein ausgemachter Skandal, dass Großunternehmen, die im DAX notiert sind, allesamt keinen Cent Gewerbesteuer bezahlen. Dabei rufen Wirtschaftskapitäne am lautesten nach mehr Kindergartenplätzen, mehr Wohnungen, mehr Straßen. Ich sehe nur wenig Möglichkeiten, die Finanzvorstände bei der Ehre zu packen. Wir brauchen klare gesetzliche Vorschriften.

Was könnte man tun?

Es darf nicht sein, dass der Rechenkünstler, der den steuerlichen Gewinn nach nahezu freiem Ermessen in die Bilanz schreiben kann, darüber entscheidet, dass ein Großunternehmen keine Steuern mehr vor Ort zahlt. Und gleichzeitig rühmt sich das Unternehmen für sein erfolgreichstes Geschäftsjahr.

Zurück zur Gewerbekapitalsteuer?

Wir brauchen eine Wertschöpfungssteuer oder Betriebssteuer, die vom Kapitaleinsatz des Unternehmens abhängt und vom Gewinn, den es insgesamt abwirft. Bislang sind wir auf den steuerlich erklärten Gewinn angewiesen. INTERVIEW: C. FÜLLER, S. KUZMANY