Das 01 90-Imperium schlägt zurück

Talkline ID erwirkt einstweilige Verfügung: Hamburger Verbraucherschützer dürfen nicht mehr vor dubiosen 01 90-Rechnungen warnen. Schutz der Bundesregierung gegen Betrügereien bleibt halbherzig. Derweil machen die Anbieter munter weiter

aus Berlin MATTHIAS SPITTMANN

Verbraucher müssen vor Verbraucherschützern geschützt werden. Das meint zumindest die Firma Talkline ID, eigenen Angaben zufolge nach der Telekom zweitgrößter Anbieter von „Service-Nummern“ wie 01 80, 01 90, 01 37 und 1 18 xy. Der Hintergrund: Die Verbraucherzentrale Hamburg hatte alle Bürger dazu aufgerufen, dubiose Rechnungen für 01 90-Verbindungen nicht zu zahlen. Das hat Talkline ID nun per einstweiliger Verfügung unterbunden. Rechtswidrig und falsch sei der Boykottaufruf, meint das Bonner Unternehmen. „Der Kunde ist am Ende der Gelackmeierte“, sagte Geschäftsführer Renatus Zilles. In den allermeisten Fällen seien die Dienstleistungen und deren Rechnungsstellung vollkommen in Ordnung. Boykottiere der Kunde die Rechnung, müsse er deshalb zusätzlich Inkasso- und Gerichtskosten und damit letztlich viel zahlen, warnte er.

Dabei hatte die Verbraucherzentrale nur dazu aufgefordert, solche 01 90-Kosten nicht zu begleichen, die durch Betrug entstehen. Darum hat sich nun selbst die Bundesregierung gekümmert: Sie beschloss letzten Mittwoch, dass Kunden künftig in jeder Telefonrechnung auf ihr Recht aufmerksam gemacht werden, „gegen strittige Forderungen begründete Einwendungen“ erheben können. Angesichts langer Verfahren vor Gericht wird sich das zwar jeder genau überlegen, gibt den Verbraucherschützer in der Sache aber Recht.

Der Internetsurfer braucht zum Beispiel nicht zu zahlen, wenn er sich über einen Dialer einwählt, der ungefragt die Verbindung über eine 01 90-Nummer aufbaut. Das ist mittlerweile unbestritten, abgerechnet wird aber noch immer. Und nach Meinung der Verbraucherschützer gibt es weitere Fälle, in denen der Telefonkunde die Rechnungen ignorieren sollte. Dazu gehört etwa, dass Preise nicht genau genannt werden oder Wucher sind. Denn dann kommt entweder gar kein Vertrag zustande oder er ist sittenwidrig und damit anfechtbar. Und ohne Vertrag keine Zahlungspflicht.

Die Verbraucherzentrale hatte in ihrem Aufruf keine Namen genannt, sondern nur zum „Zahlungsboykott gegen 01 90-Betrüger“ aufgefordert. „Dass Talkline sich von unserem Aufruf angesprochen fühlt, spricht für sich“, meint die Verbraucherzentrale. Talkline ID ist dort „mit Abstand Spitzenreiter in der Reklamationsstatistik“ und „fast immer beteiligt, wenn es um die umstrittenen Dialer geht“.

Die Talkline-Gruppe hat bisher nicht als verbraucherfreundliches Unternehmen von sich reden gemacht. Mal hatte sie das Kündigungsrecht bei Preiserhöhungen im Mobilfunk bestritten, dann hatte sie 2,8-mal höher als ausgewiesen abgerechnet. Ende April teilte der Bundesgerichtshof der Firma mit, dass Deaktivierungsgebühren für Handy-verträge unzulässig sind, trotzdem berechnet Talkline diese weiterhin. Nicht rechtswidrig, die Allgemeinen Geschäftsbedingungen seien entsprechend geändert worden, meint das Unternehmen. Vor Gericht hätte diese Erklärung wohl wenig Bestand.

Bei überhöhten Rechnungen verspricht Talkline Gutschriften. Doch statt Vollzug gibt es Mahnungen. Die Verbraucherzentrale hat daher Rechtsmittel gegen die einstweilige Anordnung angekündigt und sieht den von Talkline ID angekündigten Schadensersatzansprüchen optimistisch entgegen. In der Mitteilung über den Gerichtsbeschluss geben die Verbraucherschützer auch gleich die Adresse der Firma an. Wie schrieb ein Exkunde: „Talkline, wir wissen, wo deine Büros sind, und wir alle kommen vorbei, um unsere Verträge zu kündigen!“