berliner szenen Zwei russische Sänger

Krieg und Frieden

„Welcome to World War III & IV“ steht mit Kreide auf dem Boden der U-Bahn-Station Kochstraße. Es handelt sich dabei offenbar um einen Kommentar zum angekündigten Feldzug der USA gegen den Irak. Hier, drei Meter unter dem Checkpoint Charly, bekommt der Slogan eine gewisse historische Tiefe. Der ehemalige Grenzübergang ist bis heute das Symbol der deutschen Teilung, dem Produkt ebenjenes Krieges also, den man in der Sprache der westlichen Siegermächte mit „World War II“ zu bezeichnen pflegt. Der Zweite Weltkrieg und auch die deutsche Teilung sind mittlerweile Geschichte. Dafür trifft man in der U6, die seit jeher unter dem Checkpoint Charly verläuft und nach 1989 nur einige neue Haltestellen bekommen hat, nun jeden Morgen zwei Russen. Sie tragen Shorts und weite Hemden, dazu Sandalen mit Klettverschlüssen, und sie singen Lieder in der Sprache der östlichen Siegermacht.

Vermutlich gehören auch sie zum Heer der ehemals sowjetischen Opernsänger, die mit dem Ende des Kalten Krieges arbeitslos wurden und als Straßenmusiker in den Westen gegangen sind. Ihre Lieder klingen wehmütig. Auch wenn man die Worte nicht versteht, ahnt man, dass sie vom Verlust der Heimat erzählen. K., deren Heimat früher einmal die DDR war, hat in der Schule nicht nur die Sprache der so genannten sowjetischen Freunde, sondern auch deren Liedgut gelernt. Als sie in diesen Tagen den beiden Sängern in der U6 zuhörte, fiel ihr ein russisches Geburtstagslied wieder ein. Obwohl es doch zu einem freudigen Anlass gehört, ist selbst dieses kleine Stück Musik von Wehmut tief durchdrungen – genau wie der Text, den K. mit ihrem alten Schulwörterbuch übersetzte: „Wie schade, dass nur einmal im Jahr Geburtstag ist.“ KOLJA MENSING