Der Melancholiker

Mit „Brennen im Wind“ kehrt Silvio Soldini zu seinen Wurzeln zurück. Ein Porträt des italienischen Regisseurs

Im Februar – gerade hatte „Brennen im Wind“ Weltpremiere – saß Silvio Soldini im Berlinale-Palast und vermutete, dass der neue Film nicht an den kommerziellen Erfolg von „Brot und Tulpen“ anknüpfen werde. Schließlich sei „Brennen im Wind“ keine Komödie. Eine klare Einschätzung, die ein knappes halbes Jahr und einige Kinostarts später nicht anders klingt. „Der kommerzielle Erfolg hat mich nie interessiert“, sagt der 44 Jahre alte Regisseur aus Mailand. „Ich hatte bei ‚Brot und Tulpen‘ Lust, in ein Gebiet vorzudringen, das jenseits des Gewohnten meiner ersten Filme lag. Ich wollte eine Komödie machen, etwas Leichteres, ich wollte andere Musik einsetzen.“ Die heitere Unterhaltung, die ihn vor zwei Jahren international bekannt gemacht hat, bildet also nicht die Regel, sondern die Ausnahme. Und mit „Brennen im Wind“ kehrt Soldini zur Regel zurück, zur melancholischen Betrachtung, als deren Meister er in Italien seit Ende der Achtzigerjahre bekannt ist.

Silvio Soldini sitzt bei Kaffee und Keks in einem Berliner Hotel, schlank, groß, gut aussehend und doch unscheinbar. Kaum hat er sich verabschiedet, fällt es schwer, sein Gesicht in Erinnerung zu rufen. Vielleicht liegt es daran, dass er im Gespräch so wenig von sich preisgibt. Nur wenn es um den neuen Film geht, kommt er ins Plaudern. Und selbst dann verbirgt er sich gerne hinter der literarischen Vorlage. „Brennen im Wind“ basiert auf „Gestern“, einem Roman der in der Schweiz lebenden Ungarin Agota Kristof. Zum ersten Mal hat sich der Regisseur einer Literaturverfilmung gewidmet: der Geschichte des Fabrikarbeiters Tobias (Ivan Franèk), der mit 15 aus seiner osteuropäischen Heimat in die französische Schweiz geflohen ist. Woher er genau kommt, ist nicht klar. „In einem Dorf ohne Namen, einem Land ohne Bedeutung geboren. Meine Mutter war die Dorfdiebin“, sagt Tobias.

Die meisten Figuren sind Fremde in einem Land, das winterlich kalt ist, nass, von tristem Grau dominiert. Sie gehen jeden Tag der gleichen Routine nach, gefühl- und gedankenlos. Es sind Menschen, die ihre Heimat verloren haben und die in der neuen auch nach Jahren noch keine Wurzeln schlagen konnten. Ein Thema, das Soldini auch im Italien eines Silvio Berlusconi hätte ansiedeln können – oder mit italienischen Schauspielern im Ausland. Doch Soldini hat einen Roman gewählt, der außerhalb seines Landes spielt und in der Zeit schwebt. Die Geschichte könnte vor 15 Jahren stattgefunden haben. Oder heute. Für seine Entscheidung gibt Soldini nur eine Begründung: „Mir hat der Roman gefallen. Und dann wollte ich einen Film machen.“ Und sofort ist er wieder hinter der Vorlage verschwunden: „Es wäre für mich ein Betrug am Roman gewesen, die Geschichte heute mit den aktuellen Problemen der Immigranten zu erzählen“, sagt er. „Ich wollte keine zeitliche Einschränkung. Die Geschichte ist gerade gut, weil man nicht weiß, in welcher Zeit sie sich abspielt. Sie hat daher eine universelle Qualität.“

Soldini ist kein Mensch des politischen Statements, auch wenn er in den 70er-Jahren Politikwissenschaft studiert hat, bevor er in New York die Filmhochschule besuchte. Er hält sich raus aus der Politik seines Landes, wendet sich mit seinen letzten Werken verstärkt regionalen Geschichten zu. Oder geht mit der Handlung gleich ganz ins Nachbarland. Fünf Kinofilme und zahlreiche Dokumentarfilme hat Silvio Soldini bisher gedreht. Für seinen ersten Spielfilm „L’aria serena dell’Ovest“ („Die milde Luft aus dem Westen“) wurde er 1989 mit dem Preis der Jugendjury des Festivals von Locarno ausgezeichnet. Vor allem sein dokumentarischer Stil wurde damals gelobt. Doch er will nicht nur abbilden. „Ich wollte auf keinen Fall einen realistischen oder neorealistischen Film drehen“, sagt er über „Brennen im Wind“. „Die Anstrengung der gesamten Crew war es, eine eigene Welt für den Film zu schaffen. Ich glaube, dass die Geschichte weder realistisch noch naturalistisch, sondern etwas außerhalb der Realität angesiedelt, aber in sich geschlossen ist.“

Silvio Soldini ist bekannt dafür, sehr genau und feinsinnig das soziale Umfeld einfacher Menschen zu zeichnen. In diesem Punkt weist „Brennen im Wind“ trotz der Vorlage seine Handschrift auf. In allen seinen Filmen geht es um Menschen, die unzufrieden sind und sich nach etwas sehnen, ohne diese Sehnsucht benennen zu können. Und die dennoch versuchen, ihrem Leben eine Wende zu geben. „Ich glaube, nur wenige Menschen haben eine Arbeit, die ihnen gefällt, und nur wenige leben, wie sie leben wollen“, sagt Soldini. „Aber noch viel wichtiger: Nur wenige Menschen wissen, wie sie leben wollen.“ Er macht eine Pause und fügt dann, fast überraschend, ein persönliches Statement an. „Ich kann mich glücklich schätzen, dass ich weiß, was ich will. Aber ich bin nur einer von wenigen.“ SUSANNE BURG

„Brennen im Wind“. Regie: Silvio Soldini. Mit Ivan Franèk, Barbara Lukesova u. a., Italien/ Schweiz 2001, 118 Min.