Betr.: Glück und so weiter

An Rezepten für ein besseres, zumindest gutes Leben fehlt es nicht. Aber woran liegt es, dass es an Wohlbefinden (nicht nur) in Deutschland trotzdem fehlt?

von VERENA KERN

Was ist Lebensqualität? Könnte ich viel dazu sagen. Genug Zeit haben zum Beispiel, auch genug Geld, die Freiheit, über sich selbst zu bestimmen, Freunde, die Liebe, schöne Dinge, Genuss, Freude.

Und natürlich auch gutes Essen. Ich rufe bei Slow Food an. Das sind die Leute, die zum Fast Food eine Alternative entwickeln wollen. Fingen vor sechzehn Jahren damit an. Sind heute in 35 Ländern vertreten. Haben inzwischen siebzigtausend Mitglieder, in Deutschland sind es 4.500. Produzenten, Gastronome, Feinschmecker, Händler für regionale Gerichte und naturschonende Produktionsweisen, Einzelpersonen, viele taz-Leser.

Lob der Langsamkeit, das kam in den Achtzigerjahren ja allerorten auf, gab auch einen programmatischen Roman von Sten Nadolny. Nicht immer nur schnell, schnell! Nicht bloß konsumieren und dann weg damit. Verweilen können, auskosten. Wenn du mit einem Hochgeschwindigkeitszug fährst, kommst du zwar möglichst zeitsparend von A nach B, aber von der Landschaft draußen bekommst du fast nichts mit. Siehst nichts, hörst nichts, bleibst immer nur bei dir, in deiner eigenen, ziemlich künstlichen Welt. Genuss macht Lebenslust, sagt Slow Food.

„Ja“, sagt Marita Odia, die im Vorstand von Slow Food sitzt, ehrenamtlich wie auch all die anderen, „zur Lebensqualität gehört auch Lebensmittelqualität.“ Wohl schmeckend und nachhaltig produziert. Produkte der Saison, der Region. Nicht das Obst und Gemüse, das effektiv gekühlt schon den halben Erdball umrundet hat und nun im Supermarkt liegt und schwitzt und schnell verdirbt.

Marita Odia sagt auch: „Nachhaltigkeit ist erst mal teurer, aber ich würde trotzdem nicht von Luxus sprechen.“ Auch Fernreisen, Designerklamotten, Computerequipment sind Luxus, sagt sie. Mag sein, dass man ein Handy braucht, „aber ich brauche auch ein gutes Brot“. Und es hat ja auch mit Wohlbefinden und Gesundheit zu tun.

Ich weiß, was sie meint. „Schon heute sind mehr als die Hälfte aller Krankheiten in den Industrieländern ernährungsbedingt“, sagt das Ökoinstitut in Freiburg. Nur fünfzehn Minuten Zeit nimmt sich im Durchschnitt eine Familie, um ein Essen zuzubereiten. Vorgefertigte, mit Inhaltsstoffen, industriellen Aromen und Geschmacksverstärkern angereicherte Lebensmittel fördern die Neigung zu Allergien wie zu Übergewicht. Von den jüngsten Skandalen im Bereich der Massentierhaltung ganz zu schweigen. „Esskultur braucht Zeit“, sagt das Ökoinstitut.

„Wir gönnen unserem Auto Motorenöl für zehn Euro den Liter, uns selbst aber nur die billigsten Nahrungsmittel“, sagt Lutz Ribbe vom Umweltverband Euronatur und gleichzeitig Mitglied im Wirtschafts- und Sozialausschuss der EU. Nur zwölf Prozent ihres Einkommens geben die Deutschen für Nahrungsmittel aus. „Gutes Essen“, sagt Ribbe, „ist auch eine Form der Kultur.“

Und jeder kann etwas tun. Sich für die traditionelle regionale Küche einsetzen, so wie Slow Food es tut. Schon den Kindern Geschmack und Genuss vermitteln. Weniger Fleisch essen. Sich Zeit nehmen zum Kochen. Produkte aus ökologischem Anbau kaufen, am besten direkt beim Bauern. Etwa auf dem Ökomarkt.

Der Lausitzer Platz in Berlin-Kreuzberg war viele Jahre lang der Ort, von dem die Randale am 1. Mai ausging. Heute ist er ein Treffpunkt für Eltern mit kleinen Kindern. Hier gibt es den schönsten Spielplatz weit und breit, von der Anwohnergruppe vor zwei Jahren zunächst gegen das Bezirksamt aufgebaut. Jeden Freitagnachmittag ist Ökomarkt, direkt neben dem Spielplatz. Gut besucht, sommers natürlich mehr als im Winter. Alternative und alternativ Angehauchte, Leute, die das Gute wollen und es gut machen wollen, Kreuzberger Durchschnitt eben. Und am Rand sitzen die Penner und Gestrandeten und rauchen und trinken. Es ist gewissermaßen eine echte Idylle.

Aber kaum bin ich ein paar Minuten dort, verstehe ich, dass das Konzept, das Slow Food und viele andere vertreten, nicht ausreichend ist. Es liegt gar einmal nicht daran, dass Zeit auf dem Ökomarkt sehr schnell zu einem Problem wird. Du stehst in der Schlange, sagen wir vor dem Käsestand, bei dem es wirklich begeisterungswürdige Sachen zu kaufen gibt, die nicht einmal sehr viel mehr kosten als das, was an der Käsetheke im Supermarkt angeboten wird.

Und du brauchst eine überirdische Geduld, um die Umstandskrämerei derjenigen, die vor dir an der Reihe sind, aushalten zu können. Wenn du dann selbst endlich dran bist, sprichst du besonders schnell, als müsstest du die viele verlorene Zeit wieder aufholen, und dann weißt du, was es heißt, Gelassenheit zu lernen.

Der Punkt ist ein anderer. Der Punkt ist, dass die Leute, die hierher kommen und damit das Richtige tun, die richtige Einstellung haben und die richtige Praxis üben, keineswegs glücklich wirken. Ein gutes, angenehmes Leben werden sie alle haben. Zeit, Geld, soziale Kontakte, auch Spaß. Das ist sehr viel, aber trotzdem reicht es nicht.

Der Befund betrifft nicht nur diese kleine alternative Avantgarde, sondern die gesamte Gesellschaft. Das angenehme Leben ist in den Industrienationen zum Normalfall geworden, aber für das Wohlbefinden hat es gar nicht so viel gebracht, wie man annehmen würde. Der Grad an Zufriedenheit, an Glücklichsein überhaupt, hat das Meinungsforschungsinstitut Allensbach ermittelt, ist in Deutschland, in seinem bundesdeutschen Teil, seit den Fünfzigerjahren konstant geblieben, während sich der Lebensstandard seither aber vervielfältigt hat. Nur rund die Hälfte der Bevölkerung ist mit ihrem Leben „im Allgemeinen zufrieden“ und nur drei von zehn nennen sich glücklich.

Natürlich ist die Freude am Essen ein wichtiger Faktor. Und natürlich kann es auch mal eine Tiefkühlpizza sein, an der man sich freut. „Aber“, sagt der Autor Stefan Klein, der in seinem gerade erschienenen Buch „Die Glücksformel“ anhand von Erkenntnissen der Gehirnforschung erläutert, wie die guten Gefühle entstehen, „die Lust daran währt kaum länger als die Zeit, die es braucht, sie in den Ofen zu schieben und aufzuessen. Mehr Wohlgefühle bringt es, die Pizza selbst zu backen.“ Schon das Blättern im Kochbuch setzt ein positives Erwartungssystem im Gehirn in Gang.

Noch wichtiger als genussvolle Erlebnisse ist für die persönliche Zufriedenheit aber, in welchem Zustand sich das Land befindet, in dem man lebt. Das Vorhandensein großer Einkommensunterschiede beispielsweise, der Eindruck, es gehe ungerecht zu in der Gesellschaft, erzeugt Frust und das Gefühl von Ohnmacht.

Dort, wo die Einkommensschere nur wenig auseinander geht, etwa in Skandinavien, ist die allgemeine Zufriedenheit denn auch deutlich größer als etwa in Deutschland. Genauso wirkt sich die Massenarbeitslosigkeit auf das Wohlbefinden aller Mitglieder einer Gesellschaft aus und ist damit keineswegs nur das Problem der Betroffenen.

Was also ist Lebensqualität? Die glückliche Antwort lautet: Dass man die richtige Regierung hat.

Literatur: Volker Angres, Claus-Peter Hutter, Lutz Ribbe: „Futter fürs Volk. Was die Lebensmittelindustrie uns auftischt“. Droemer Verlag, München 2001, 400 Seiten, 8,90 €; Stefan Klein: „Die Glücksformel oder Wie die guten Gefühle entstehen“. Rowohlt, Reinbek 2002, 320 Seiten, 19,90 €ĽVERENA KERN, 38, ist taz.mag-Autorin