Gefährliche Freiheit

Aggression und Ausdruck: Die Sexgöttin Peaches hatte im ColumbiaFritz alle auf ihrer Seite und zog ökonomischen Kategorien wie „Alter“ und „Geschlecht“ die Milchzähne

Da kommt sie: Peaches, die kleine Dauerwellenlady mit Sonnenbrille und rosa Hotpants. Und man vergisst alles, sogar sich selbst. Auch ohne Vorhang: Es wirkt, als würde eine Sexgöttin eine Theaterbühne betreten. Eine Sexgöttin in Menschengestalt, versteht sich. Peaches schnappt sich das Mikro, wie sie sich eigentlich alles schnappt an diesem Abend im ausverkauften ColumbiaFritz – das Publikum, ihr goldenes Handtäschchen und immer wieder den Mikroständer – sie schnappt nach Luft und schreit los: „Get me on.“ Und alle sind auf ihrer Seite. Die dirty Diva wirkt ein bisschen wie auf Durchreise, demnächst wird sie auf große US-Tour gehen, aber heute ist die Kanadierin in ihrer Wahlheimat und muss kein Wort sagen, um verstanden zu werden. Dann kommt der aktuelle Hit: „Set If Off“. Im Video dazu wachsen ihr Männerhaare, und es hat auch mehr von einer männlichen Rockperformance, wie sie hier „All“ ins Mikro singtschreit und das Publikum „right“ zurückruft. Und wenn Peaches dann die Oberarme nach oben schmeißt, ist man froh, dass sie sich wenigstens anständig die Achselhaare rasiert hat. Einfach so, weil Peaches ohnehin sehr viel „gefährliche“ Freiheit ausstrahlt.

Ihre Sexshow ist Aggression, Ausdruck und Kreativität. Ganz im Gegensatz zur „normalen“ Popkultur, die mittels Sexualität meist an Minderwertigkeitskomplexe appelliert. Dann zieht Peaches ihre Bluse aus, und es kommen immer mehr von ihrer Crew auf die Bühne, die sich gegenseitig antatschen, ausziehen und irgendwie Spaß verbreiten. „Bitch Laptop“ zum Beispiel, die wie eine siebzehnjährige R&B-Schönheit aussieht, sich aber wie eine Rock-Bitch benimmt. Spontan und mit Humor.

Trotzdem kippt das Konzert nicht in Freakshow oder Billigporno oder Theater oder Deppen-Mainstream um. Vielleicht ist das die viel beschworene „Performancekunst“ von Peaches: Es ist alles immer noch Rock, eine Mischung aus Rock und Disco. Die funky Songs sind ebenso rau wie geschmeidig, hypnotisierend wie ungeduldig. Eine Kultsängerin, in Lydia-Lunch-Tradition, wie es sie lange nicht gegeben hat. Denn vom Erfolg gekrönt zieht Peaches auch bei dieser Show wieder den ökonomischen Kategorien „Alter“ und „Geschlecht“ die Milchzähne und macht auch ein bisschen das Popmodell der Zukunft sichtbar: Musik für Erwachsene und solche, die’s werden wollen. Als ob die Neunziger, als ob Teen Spirit nie passiert wären.

Und während ich nach dem Konzert angekickt zur Bahn laufe und mir überlege, was aus meiner Fundamentalkritik am Modell Peaches geworden ist (dass Frauen immer ihre Sexualität verkaufen müssen, um Erfolg zu haben), rufen mir zwei fremde Typen hinterher: Was mit mir los sei? Ob ich eine Party mit ihnen feiern wolle? So ist das also: Menschen, die gerade auf einem Peaches-Konzert waren, strahlen gefährliche Freiheit aus.

KERSTIN GRETHER