berlin buch boom
: Anti-autoritär, anti-traditionell und anti-prätentiös: Gerhard Fischer erzählt die Geschichte des Grips Theaters von den Sechzigern bis heute

Immer den Bach rauf

Fährt man mit der U-Bahn den Time Tunnel zurück ins alte Westberlin und steigt am Hansaplatz aus, landet man direkt vorm Grips Theater. Ein radikales Kindertheater, in das Kinder geschickt wurden, um zu lernen, was links, feministisch oder ökologisch bedeutet.

Im neuen Berlin gehört das Theater am Hansaplatz zum Inventar der Stadt, es hat eine Tradition und ist fest etabliert. Kürzlich sprach die Arte-Dokumentation „Theater des Jahrhunderts“ Grips als einzigem Kindertheater epochale Bedeutung zu – warum dem so ist, kann man nun bei Gerhard Fischer fundiert nachlesen. Für den in Sydney lehrenden Literaturwissenschaftler, der selbst als Dramaturg am Grips gearbeitet hat, erklärt sich das Erfolgsrezept des Grips mit Peter Brooks Begriff „populäres Theater“: „anti-autoritär, anti-traditionell, anti-pomphaft und anti-prätentiös“. Kein bildungsbürgerlicher Musentempel, sondern ein „Theater des Lärms und des Beifalls“.

Fischer erzählt konsequent die Ups and Downs seines „Lieblingstheaters“ als Teil einer linksalternativen Kultur- und Sozialgeschichte. Die fängt natürlich mit den 68ern an: Als das von Volker Ludwig mitbegründete Reichskabaret 1970 schließt, entsteht aus dem dazugehörigen Kindertheater 1972 das Grips. Dass nun statt Weihachtsmärchen der Klassenkampf ins Kinderzimmer kommt, dem bald auch Feminismus und Ökologie folgen, erfreut indes nicht jeden. Als Grips zum Hansaplatz umzieht und das von Rainer Hachfeld entworfene Wandbild installiert, ist die Springer-Presse not amused: „Marx beherrscht das Riesenbild“ wird empört vermeldet. In den Siebzigern tobt ein Kulturkampf, an dem sich auch die Provinz beteiligt. Aber selbst der Steglitzer Jugendstadtrat Friedrich, durch konsequentes Nichtbesuchen des Theaters hervorragend als Sprecher der Anti-Grips-Fraktion qualifiziert, kann den Siegeszug des Theaters nicht aufhalten. Trotz Auftrittsverbots in den CDU-Bezirken wird es mit Preisen überschüttet, dann subventioniert und vor allem: von Besuchern förmlich überrannt.

In den Achtzigern ist dann ein bisschen die Luft raus. Das Autorenteam wurstelt mit abgebrochenen Experimenten und Reformversuchen zwar weiter, ansonsten spielt man Repertoire. Das aber mit Erfolg: 1980 startet mit „Eine linke Geschichte“ das erste Kultstück, dem 1986 „Linie 1“ und 1989 „Ab heute heißt du Sara“ folgen. Man entwickelt sich zum Theater für Jugendliche und Erwachsene, da das Kindertheater mit hausgemachten und anderen Problemen kämpft: Grips steht in der Tradition von Emanzipation und Aufklärung und damit konträr zur „neuen Poesie“ der Kinderbühnen, in welcher Fischer eine Wendung ins Romantische, wenn nicht Eskapistische sieht.

Als die Mauer fällt, kommt neues Leben in die Bude. Wie schnell Grips auf Zeitgeschichte reagiert, zeigt sich, als es im April 1990 mit „Auf der Mauer auf der Lauer“ das erste Theaterstück zur deutschen Einheit bringt. Grips ist mehr als eine lokale Erfolgsstory, es hat das Kinder- und Jugendtheater weltweit verändert: Von den fast 70 Eigenproduktionen des Ensembles wurden bisher 33 in über 30 Sprachen übersetzt und in über 40 Ländern nachgespielt. Volker Ludwig ist einer der meistgespielten Theaterautoren der Gegenwart. Der globale Publikumserfolg steht allerdings in eklatantem Missverhältnis zur Theaterkritik. Zwar wird nach „Linie 1“ den Inszenierungen größere Aufmerksamkeit zuteil. Aber immer noch, mutmaßt Fischer, assoziiere man mit Kinder-und Jugendtheater eher Pädagogik und Freizeitgestaltung als Ästhetik.

Fischer beschreibt ein Stück der linken Geschichte Berlins, hat aber anglomamerikanische Diskurse im Kopf, wenn er die politischen Traditionslinien und Elemente des Grips Theaters und damit dessen politischen Erfolg im Kommunitarismus und in der Community-Theorie verortet. Das hebt sich wohltuend von linken Leidensgeschichten aus der Das-Empire-hat-gesiegt und Ist-doch-eh-alles-den-Bach-runter-Perspektive ab. ELKE BRUENS

Gerhard Fischer: „Grips. Geschichte eines populären Theaters (1966–2000)“. Iudicium 2002, 488 S., 40 €