„Wir nennen das manchmal BSE“

Die Dominanz der englischen Sprache im Wissenschaftsbetrieb erschwert die Verständigung zwischen Forschern und Laien, befürchtet Professor Gerhard Stickel, Direktor des Mannheimer Instituts für Deutsche Sprache (IDS)

taz: Warum ist Ihnen die englische Sprache im Wissenschaftsbetrieb zu dominant?

Gerhard Stickel: Gegen Englisch als internationale Verständigungssprache im wissenschaftlichen Bereich ist gar nichts einzuwenden. Ein Problem ist nur die zunehmende Ausschließlichkeit, mit der auch deutsche Wissenschaftler nur noch auf Englisch publizieren. Es könnte passieren, dass irgendwann deutsche Molekularbiologen, Physiker oder Ingenieure ihre fachlichen Themen gar nicht mehr in der deutschen Sprache ausdrücken können. Und damit würden sie nicht nur die informelle innerfachliche Verständigung gefährden, sondern auch die gegenüber Laien.

Wie meinen Sie das?

Uns wird ja immer wieder gesagt, dass wir mehr und mehr in einer Wissensgesellschaft leben. Aber, um Wissen zu erfahren, muss es vermittelt werden. Da die Wissenschaft von uns allen über die Steuern finanziert wird, hat sie eine Bringschuld und kann nicht einfach vor sich hin forschen. Sie muss ihre Ergebnisse auch über den kleinen Expertenkreis hinaus verbreiten. Natürlich sind wissenschaftliche Ergebnisse nicht uneingeschränkt verständlich zu machen, das geht vor allem nicht angesichts der immer weiter gehenden Spezialisierung in einzelnen Fächern. Aber zumindest die Hauptthemen können in der Muttersprache am ungezwungensten der breiten Öffentlichkeit näher gebracht werden.

Wie steht es denn überhaupt mit den Englischkenntnissen deutscher Wissenschaftler?

Deutschsprachige Fachleute sind durchaus in der Lage, mit der englischen Fachterminologie umzugehen, aber darüber hinaus verwenden sie meist ein reduziertes Fachenglisch, das über den ganz spezifischen Wortschatz nicht hinausgeht – wir nennen das manchmal BSE, Bad Simple English. Viele deutsche Wissenschaftler nehmen für ihre Publikationen sprachliche Hilfe von anglophonen Kollegen oder professionellen Übersetzern in Anspruch.

Immer häufiger gibt es Tagungen, die in englischer Sprache abgehalten werden, obwohl die große Mehrheit der Teilnehmer eigentlich Deutsch spricht. Wie erklären Sie dieses Phänomen?

Es ist ein Kennzeichen vieler Menschen, dass sie sich über die Sprache als besonders weltgewandt, weltoffen darstellen wollen, manchmal auch, um etwas wichtiger zu erscheinen, als sie es wirklich sind. Und wenn einer Tagung ein englischer Name gegeben wird und die Beiträge in englischer Sprache erwartet werden, dann soll das den Eindruck internationaler Bedeutsamkeit erzeugen, auch wenn es nur um ein schlichtes lokales Ereignis geht.

Hat die Präferenz für das Englische auch Auswirkungen auf die Forschungsinhalte?

Vor zwei Jahren habe ich eine relativ breit angelegte Erhebung über den Gebrauch der Fachsprachen an außeruniversitären Forschungsinstituten durchgeführt. Rund achtzig Institute wurden befragt, und vor allem die Naturwissenschaftler, aber auch Sozialwissenschaftler und Technologen erklärten, mit der englischen Sprache würden bestimmte Themen vorgegeben, die beispielsweise zuerst in Kalifornien oder am MIT in Boston diskutiert wurden. Damit besteht die Gefahr, dass ganze europäische Wissenstraditionen und Wissensstränge abbrechen und die erforderliche Breite und Vielfalt der Wissenschaft verkürzt werden.

Was schlagen Sie vor?

Wir sollten Englisch nicht als Fachsprache bekämpfen, denn sie ist nützlich. Aber unsere Alltagssprache verkümmert, wenn Vokabeln für bestimmte Vorgänge und Gegenstände, die im allgemeinen Gebrauch sind und über die möglichst viele Leute reden wollen, nur noch aus der englischen Fachsprache übernommen werden. Um Europa auch sprachlich so bunt zu erhalten, wie es im Moment noch ist, sollten unsere Kinder und Enkel sehr frühzeitig neben ihrer Muttersprache weitere Sprachen erlernen. Ich bin ein entschiedener Befürworter einer kultivierten Mehrsprachigkeit – auch im Bereich der Wissenschaften und Technologien.

INTERVIEW:
MANFRED BURAZEROVIC