„Wir wollen integrieren und nicht assimilieren“

Interview mit dem SFB-Hörfunkdirektor Jens Wendland und dem Wellenchef der Programmgruppe Multikulti, Friedrich Voß, zum SWR-Ausstieg

taz: Der SWR behauptet, sein neues Programm sei „erstmalig in der ARD“. Können Sie dem zustimmen?

Friedrich Voß: Das ist eine dreiste und falsche Aussage. Wir machen das schon seit Jahren. Und ihr „mehrsprachiges Angebot im Internet“ ist nicht innovativ, sondern stellt dem Sender medienpolitisch und gesellschaftlich eher ein schlechtes Zeugnis aus. Es ist ergänzend, aber niemals ein Novum. Zumal die ältere Generation hierdurch ausgeschlossen wird und die Ausstrahlung auf Mittelwelle ihr stiefmütterliches Dasein verdeutlicht. Die sollten mal das ARD-Jahrbuch studieren.

Heißt das, der SWR bietet eine Mogelpackung an?

Voß: So würde ich das nicht formulieren. Es ist eher eine Entsolidarisierung bei einer sehr wichtigen gesellschaftspolitischen Aufgabe der ARD, weil die Sprachen eine Gemeinschaftsaufgabe darstellen. Auch wenn die Intendanten aufgrund des Dominoeffekts sagen werden, jeder Sender soll seinen Weg suchen, halte ich das für problematisch, da ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk verpflichtet ist, gemeinsam ein Programm anzubieten.

Sie, Herr Wendland, haben zusammen mit dem Intendanten des SWR, Peter Voß, Multikulti aufgebaut. Bewusst mit einem doppelten Charakter: bilinguales System als Forum für Deutsche und Migranten. Wie beurteilen Sie den Ausstieg?

Jens Wendland: Aus der Position von Multikulti halte ich diesen Ausstieg für eine falsche Gangart. Denn wir haben nicht eine Generation und eine Population von ausländischen Mitbürgern, sondern mindestens drei. Selbst wenn der SWR irgendwann Recht behalten sollte, weil alle Migranten integriert sind und Deutsch sprechen, ist das Zukunftsmusik. Es widerspricht einfach unserem Vorsatz, dass wir integrieren und nicht assimilieren. Wir leben eine kulturelle Vielfalt, die allein durch die Lingua franca nicht gegeben wäre. Wir haben in Berlin 14 Prozent ausländische Mitbürger, und die zahlen Rundfunkgebühren. Und mit den 18 Sprachen, die wir in unserem Programm anbieten, fühlen wir uns in unserer Arbeit bestätigt.

Warum missachtet der SWR den bilingualen Medienkonsum der Zuwanderer?

Voß: Wenn ich das wüsste. In puncto Integrationsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks entbehrt das jeder Basis, da Analysen die bilinguale Nutzung der Medien von Migranten belegen. Daher ist die ausschließliche Sendung auf Deutsch realitätsfremd. Ich weiß nur, dass die bei uns produzierten Programme für Russisch und Polnisch auf große Resonanz stoßen und unsere Sendungen auch von vielen Deutschen genutzt werden. Muttersprachliche Programme signalisieren schließlich, dass die Migranten bei uns angekommen sind und wir sie in ihrer Verschiedenheit akzeptieren und ernst nehmen.

Was befürchten Sie durch den Ausstieg?

Voß: Ich plane zum Beispiel, die Fremdsprachen nur noch fünfmal die Woche anzubieten, da wir mit Sparmaßnahmen rechnen müssen. Wesentlich gravierender aber finde ich, dass die ARD plötzlich nicht mehr mit einer Stimme spricht, sondern jedem Sender sein eigenes Konzept im Umgang mit Migranten zugesteht. Wie sollen wir der Integrationsaufgabe gerecht werden, wenn muttersprachliche Angebote zur Disposition stehen und die gesamte ARD in sich zusammenfällt? INTERVIEW:
SEMIRAN KAYA