Überall ausgetreten

Lou A. Probsthayns stark kunstsprachlicher neuer Roman „Müll“ konfrontiert zwei Welten, eine davon durch zunehmende werbesprachliche Versatzstückung geprägt

von ANNETTE STIEKELE

Einst als neue deutsche Prosa verkauft, verschimmelt so mancher gehypte Jungautor heute im Ladenregal. In Hamburg gibt es eine Riege Schreiber, die mit dem Gerede um neue Kategorien von Pop und Lebensnähe noch nie was am Hut hatten – und sich ernsthaft mit Erzählformen auseinander setzten. Lou A. Probsthayn ist einer von ihnen. Seine Bücher kann man gelinde als schwer verdauliche Kost bezeichnen, denn der 42-jährige Autor hat einen starken Formwillen, hinter dem das Erzählte zurücktreten muss. Und doch hat er bislang noch jeden Satz, den er schrieb, verlegt.

So auch seinen neuen, mittlerweile fünften Roman: Müll. Heute stellt er ihn in einer Lesung in der Galerie zum Blauen Affen auf St. Pauli vor. In der wüsten Social-Fiction-Geschichte schildert der Hamburger Autor die Odyssee seines Helden Trash, der sich in einer Stadt namens Norden durchschlägt. In Norden gelten Schulden als Währung, jeder Bürger ist zur stetigen Neuverschuldung verdammt. Trash ist eigentlich immer auf der Flucht, vor den Schuldeneintreibern und vor einer totalitären Polizeitruppe mit Namen „Stadtsicherheit“. Am Ende landet in der Psychiatrie.

Diese Zukunftsvision erzählt Probsthayn in einer für seine Verhältnisse durchaus gemäßigten Kunstsprache, durchzogen von Werbeslogans. „Es ist eine Geschichte vom Verfall der Kultur“, sagt Probsthayn mit sonorer Stimme und rührt in seiner Kaffeetasse. Sein Hemd ist so tiefschwarz wie die Vision, die er in Müll ausbreitet. „Heute werden Opernmelodien doch nur noch zusammen mit Dr. Oetker oder Schoko-Crossies wahrgenommen. Es gibt da eine Art zweite Kultur, während die erste verschwindet.“

Den Roman bevölkern so genannte „Oknophile“, Menschen, die ihr verarmtes Leben mit krankhafter Sammelleidenschaft füllen. In dieser Welt ist Trash kein Held aus Fleisch und Blut, das verhindert die Sprache. Probsthayn: „Ich schaue immer von oben auf meine Personen und lasse sie nicht denken.“ Ähnliche Distanz hat der Leser zu Dirty, der jungen Werbeangestellten, die in dieser künstlichen Welt lebt und in ihrer ersten Liebesbegegnung mit Trash nur Floskeln über die Lippen bringt.

Probsthayn zeigt in Müll zwei Welten, wobei die Werbewelt uns weismachen will, wie wir zu leben haben. Dasselbe Prinzip beobachtet er in der Alltagssprache mit ihrer zunehmenden „werbesprachlichen Versatzstückung“. Er kennt das alles aus jahrelanger Textererfahrung. Und so enthält Müll Sätze wie „Schöner Wohnen, Schöner Schlafen. Schönheit schlafen.“ Oder „Sie ließ ihren Mund noch warm werden, um überhaupt verbal zu sein. Sie fraute in ihren Gefühlen auf (...).“

Weiteres Anschauungsmaterial für Sprachschöpfungen liefert das Glossar. Der im ehemaligen Ost-Berlin geborene Autor suchte nach Germanistik- und Kunstgeschichtsstudium Pfade jenseits des Literaturbetriebs. 1986 gründete er die Gruppe Peng, die als Keimzelle des Literaturaktivismus in Hamburg gilt. Die Peng-Mitglieder hielten Lesungen in Peep-Shows, in den Katakomben des Schanzenviertels oder auf Bäumen ab. „Ziel war schon damals, die Leute über Unterhaltung zu einer Auseinandersetzung mit Literatur zu bewegen“, erklärt Probsthayn. 1999 war er Mitbegründer des Forums der 13, später des Hamburger Dogmas. Bis heute hat er fünf Romane veröffentlicht, darunter Bei Anruf Wort, Dumm gelaufen sowie zwei Satirebände und den Stadtführer Hamburg Geheim.

Seine Experimentierwut hat Probsthayn zahlreiche Preise und Stipendien verschafft, darunter 1996 ein Stipendium der Arno-Schmidt-Stiftung. Zurzeit braucht er keine literarische Organisation. „Ich bin kein Einzelgänger, aber dennoch überall ausgetreten“, sagt Probsthayn. Viel lieber brütet er derzeit über neuen Kurzgeschichten, wie jener über einen Hamburger, der in seinem Garten Teerpappe auslegt und allabendlich im Gartenstuhl bei Teelicht auf die Ankunft von Ufos wartet.

Lou A. Probsthayn: Müll; Yedermann Verlag, 195 Seiten, 11 Euro

Lesung heute, 21 Uhr, Galerie zum Blauen Affen, Friedrichstr. 28, St. Pauli, 21 Uhr