Paragrafen statt Aufbau

In Teilen Sachsens ist noch kaum etwas von der Soforthilfe für Flutopfer angekommen. Die Behörden vor Ort erlassen jedoch schon Abrissverfügungen und drohen mit Bußgeldern. Städtebund kritisiert derzeit ungleiche Zahlungen in den Ländern

von ROLAND HOFWILER

Für die betroffenen Flutopfer im Osterzgebirge ist es ein Skandal: Bis heute haben sie noch keinen Cent aus den staatlichen Hilfsfonds zum Wiederaufbau ihrer Häuser erhalten. Stattdessen drangsalieren die Behörden sie mittlerweile verstärkt mit Abrissverfügungen. Eine „öffentliche Gefahr“, heißt es in den Mahnschreiben, seien ihre halb zerfallenen Häuser und deshalb müssten diese umgehend abgerissen werden.

Nach Dokumenten, die der taz vorliegen, verschickte die Bauaufsichtsbehörde des Landratsamts Weißeritz mit Sitz in Dippoldiswalde vor allem an Land- und Forstwirte in den Gemeinden Altenberg und Schmiedeberg diese so genannten „bauaufsichtlichen Verfügungen“, ohne ihnen irgendeine finanzielle Unterstützung bei der Beseitigung der Flutschäden in Aussicht zu stellen. In typischen Beamtendeutsch wird einem der Betroffenen in wenigen Sätzen mitgeteilt, aufgrund von Paragraf 80, Abs. 2, Nr. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung gäbe es ein „öffentliches Interesse“ den größten Teil seines Hofs „abtragen“ zu lassen. Falls nicht, komme der Zwangsabriss. Der Besitzer habe die Kosten dafür selbst zu tragen.

Dieser Betroffene wohnt samt Familie einige Kilometer flussaufwärts von Altenberg in einem Weiler des Weißeritztals. Die Weißeritz ist einer der Erzgebirgsflüsse, die Anfang August alles mit sich rissen. Tagelang hatte der Hofbesitzer nach der großen Flut bei der Ortsverwaltung darum gebeten, es sollten doch mal Handwerker vorbeischauen und erste Maßnahmen ergreifen, damit die Wände und das Dach nicht vollständig in sich zusammenstürzten. Doch niemand kam vorbei, die Familie blieb auf sich allein gestellt.

Am 21. August erschien dann tatsächlich eine unangemeldete „Expertengruppe“, die jedoch schon nach wenigen Minuten zum Schluss kam, alles sei zu spät, nur noch ein Abriss der letzte Ausweg. Der Forstwirt verbittert: „Wären die Herren früher gekommen, vielleicht wäre noch etwas zu retten gewesen.“

Auf Nachfragen der taz beim Landratsamt Weißeritzkreis erklärten die Sachbearbeiter der Bauaufsichtsbehörde, sie dürften keine näheren Angaben machen, an wie viele Flutopfer solche oder ähnliche „bauaufsichtlichen Verfügungen“ ergangen seien. Die Vorhaben seien nicht abgeschlossen, und übrigens sei man nicht zuständig für die Vergabe von finanziellen Beihilfen zur Renovierung oder zum Abriss verwüsteter Gebäude. Das sei Sache des Bundes.

Scharfe Kritik am Verhalten der Bundesregierung, jedoch sehr allgemein gehalten, übte gestern auch Gerd Landsberg vom deutschen Städte- und Gemeindebund. Der Hauptgeschäftsführer des Kommunalverbands für Sachsen beklagte die seiner Meinung nach schleppende Auszahlung der Fluthilfen. „Die Kommunen in Sachsen sind enttäuscht und wütend, dass sie bisher kein Geld aus dem Hilfsfonds erhalten haben“, sagte Landsberg der in Chemnitz erscheinenden Freien Presse. Die bisher ausgezahlten 35 Millionen Euro seien nichts anderes als eine Vorauszahlung aus dem sächsischen Finanzausgleich. Von den Fluthilfen selbst gebe es noch keine Spur, weil sich das Geld noch in der Pipeline zwischen dem Bund und der sächsischen Landesregierung befinde. Dies sei umso ärgerlicher für die sächsischen Kommunen, weil die Städte und Gemeinden in Sachsen-Anhalt ihren Anteil bereits erhalten hätten.

Die Bauern im Weißeritztal kamen selbst nicht in den Genuss der Vorauszahlungen. Doch am meisten ärgert sie, dass man sie nicht einfach gewähren lässt: Wenn schon kein Geld vom Staat, dann bitte auch keine Bauauflagen zum Abriss.