Aktualisiertes Ehedrama

Nicht länger weißer Plüschhase sein: Stephan Kimmig inszeniert Ibsens „Nora“ mit unversöhnlichem Ende

Längst ist die bürgerliche Ehe nicht mehr einfach nur ein Kerker, aus dem man sich – zumal als Frau – befreien muss. Unzählige emanzipierte Frauen haben das getan. Andere sind geblieben, in der steten Hoffnung auf ein Wunder. Zu diesem Schluss kommt auch Stephan Kimmig in seiner sehr aktuellen Bühnenversion von Henrik Ibsens Nora. Bei der Premiere im Thalia Theater hagelte es starken Beifall für einen Regisseur, der bislang als gemäßigter Purist galt.

Kimmigs Nora Helmer ist keine arme Unschuld. Sie hat Schuld auf sich geladen, aus Liebe, ja – aber auch solcher zum eigenen Wohlstand. Vor langer Zeit hat sie ihrem Mann Torvald das Leben gerettet, als sie einen Schuldschein mit der Unterschrift ihres verstorbenen Vaters versah. Und nun, acht Jahre später, ist ihr Mann zum Bankdirektor befördert worden.

Das Paar samt zweier Kinder bezieht eine schicke Penthousewohnung. Doch hier ist der Blick von kalten Betonwänden verstellt. Ein Sandsack hängt auf der Terrasse: für angestauten Ehemüll. Die Wohnung selbst hat Bühnenbildnerin Katja Haß kühl eingerichtet mit graumelierten Tapeten und einem Bodenobjekt, das mal als Rutsche, mal als Eheversöhnungs-Podest fungiert. Die Szenerie hat etwas von einem Tatort. Spannung liegt in der Luft. Die Figuren sprechen gleichförmig durch Mikroport verstärkt.

Die grandiose Susanne Wolff als Nora: eine elegante Erscheinung, ein selbstbewusstes Luxusweib, und doch eigenartig verloren in der eisigen Wohnung. Wäre sie glücklich in der Ehe mit dem aalglatten Emporkömmling Torvald (süffisant, gefühlskalt: Norman Hacker), müsste sie nicht so hektisch auf- und ablaufen und „Scheiß die Wand an“ brüllen. Nora kann das Unheil nicht abwenden, da kann sie noch so schön improvisierte Tänze vor ihrem Gatten und ihrem heimlichen Verehrer, dem todkranken Dr. Niels Rank (Christoph Bantzer) aufführen und singen: „Deine Zeit ist um, der Tod erwartet Dich.“ Irgendwann bricht die sorgsam gehütete Ehefassade zusammen.

Vergebens hofft Nora noch auf das „Wunderbare“. Von Torvald hagelt es nur Vorwürfe für die Entehrung. Aber, auch wenn sie nicht länger sein „weißer Plüschhase“ sein will, wird sie doch nicht einfach so gehen, sondern einsam rauchend auf der Terrasse zurückbleiben. Eine unversöhnliche, aber sehr moderne Wendung. Annette Stiekele

weitere Vorstellungen: 21.9., 14 + 20 Uhr, 22.9., 15 Uhr, 8. + 9.10., 20 Uhr, Thalia Theater